Die Lehre Sebastian Kneipps als Immaterielles Kulturerbe

Christian Marlow | Ausgabe 4-2021 | Geschichte | Lebendiges Kulturerbe | Natur und Umwelt | Volkskunde

Portrait Sebastian Kneipp. gemeinfrei, https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Sebastian_ Kneipp.jpg.

Sebastian Kneipp (1821 – 1897) konnte sicher nicht ahnen, dass seine ganzheitliche Gesundheits- und Heillehre im Jahre 2015 durch die Deutsche UNESCO-Kommission auf die Bundesliste „Immaterielles Kulturerbe“ gesetzt wird. Denn bis ins hohe Alter sah sich der römisch-katholische Priester Kritik aus Teilen der hiesigen Ärzte- und Apothekerschaft ausgesetzt, die ihn immer wieder der Kurpfuscherei bezichtigten. Dabei erfand Sebastian Kneipp keinesfalls das nach ihm benannte Kneippen. Dass Wasseranwendungen (Hydrotherapie) positive Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben, war schon seit Jahrhunderten bekannt (Antike Badekultur). Als Begründer der modernen Wassertherapie gelten Siegmund Hahn (1664 – 1742) und dessen Sohn Johann Siegmund Hahn (1696 – 1773).[1] Im Jahre 1738 veröffentlichten beide ihr Hauptwerk „Unterricht von Krafft und Würckung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen, besonders der Krancken, bey dessen innerlichen und äusserlichen Gebrauch“.

Etwa 100 Jahre später entdeckte der lungenkranke Student Sebastian Kneipp das Werk in der Hofbibliothek München und testete die Hahnsche Wassertherapie. 1848/49 nahm er zwei bis drei Bäder pro Woche in der kalten Donau, nahm zu Hause Heilbäder, übergoss sich mit Wasser und wurde nach eigenen Angaben wieder gesund, sodass er sein unterbrochenes Studium schon bald wieder aufnehmen konnte. In der Folgezeit beschäftigte er sich intensiv mit der Hydrotherapie. Im Münchner Verein der Wasserfreunde hörte er das erste Mal von Vincenz Prießnitz[2], der schon zu Lebzeiten der „Wasserdoktor“ hieß. Kneipp hospitierte bei Prießnitz und entwickelte in den folgenden Jahren seinen eigenen ganzheitlichen Therapieansatz. Dieser umfasste mitnichten „nur“ das Wassertreten, sondern auch Ernährungs,- Bewegungs-, Ordnungs und Phytotherapie (Heilpflanzentherapie). 1855 wurde Kneipp Beichtvater und Hausgeistlicher des Dominikanerinnenklosters in Wörishofen.

Die Kneippschen Heilansätze sprachen sich schnell rum, sodass der Ort Wörishofen schon bald immer mehr Kurgäste empfangen konnte. Auch Hilfesuchende aus vornehmeren Kreisen suchten nun Rat und Therapie bei Sebastian Kneipp. Mitte der 1880er verfasste er sein erstes Hauptwerk „Meine Wasser-Kur“, worin er die Wasserheilkunde von Johann Siegmund Hahn mit der Pflanzenheilkunde kombinierte. Im Jahre 1889 erschien sein zweites Hauptwerk „So sollt ihr Leben“. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod war Kneipp in ganz Europa unterwegs und verhalf so seiner Lehre zu großer Popularität. Schon zu Lebzeiten Kneipps gründete 1890 ein Verleger aus Donauwörth den ersten Kneippverein in Deutschland. 1897 konstituierte sich der Kneipp-Bund[3], der heute als Dachverband von ca. 600 Kneipp-Vereinen in Deutschland mit etwa 160.000 Mitgliedern fungiert. In Sachsen-Anhalt gibt es demnächst sechs Kneipp-Vereine[4] und 26 Kneipp-Anlagen[5], die zum Wassertreten einladen.

Wie jedes lebendige Kulturerbe lebt auch die Kneippsche Gesundheitslehre davon, dass sie von den Menschen aktiv betrieben wird. Die angesprochenen Vereine/Bäder, der Kneipp-Tag, der Bau und die Unterhaltung von Kneippanlagen sowie die Vermittlung von Kneipp-Anwendungen in der Alltagspraxis sorgen dafür, dass die Lehre Kneipps lebendig gehalten, tradiert und weiterentwickelt wird. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass Kneipp selbst eben nicht der „Erfinder“ der Hydrotherapie war, sondern die Ansätze der beiden Hahns und Prießnitz’ entscheidend weiter entwickelte. Genau das macht das lebendige Kulturerbe bzw. das Immaterielle Kulturerbe aus. Das Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben und aktiv angewendet.

[1] Vgl.: Alfred Brauchle: Die zwei Wasserhähne Dr. med. Siegmund und Dr. med. Johann Siegmund Hahn. Ausgangspunkt sowohl der wissenschaftlichen als auch der naturheilerischen Wasserbehandlung in Deutschland. In: derselbe: Geschichte der Naturheilkunde in Lebensbildern, Stuttgart 1951, S. 62 – 69.

[2] Vgl.: Jürgen Helfricht: Vincenz Prießnitz (1799 – 1851) und die Rezeption seiner Hydrotherapie bis 1918. Ein Beitrag zur Geschichte der Naturheilbewegung. Matthiesen Verlag, Husum 2006.

[3] Vgl.: https://www.kneippbund.de

[4] Bad Schmiedeberg, Halle/Saale, Ilsenburg, Magdeburg, Bad Bibra, Aken (in Gründung) vgl.: https://www.kneippbund.de/wo-ist-was-in-meinernaehe/ und https://gesundheitsorte.de/de/200-jahre-kneipp/artikel-kneipp-vereine.html.

[5] https://gesundheitsorte.de/de/200-jahre-kneipp/artikel-kneipp-anlagen-undanbieter.html.