Engel, Christ, Holle und Weihnacht − „himmlische“ Familiennamen
von Ursula Föllner und Saskia Luther | Ausgabe 4-2017 | Volkskunde
In der Vorweihnachtszeit spielen Engel oder Märchenfiguren wie Frau Holle immer eine große Rolle. Aber nicht nur in dieser Jahreszeit, sondern auch in unserem Alltag sind sie allgegenwärtig, einerseitsb, weil viele Menschen an deren Wirken glauben, andererseits aber auch, weil sie uns in der Form von Familiennamen begegnen.
Unsere Familiennamen sind aus Beinamen entstanden, wobei unter Beinamen zusätzliche, den Rufnamen ergänzende individuelle Kennzeichnungen des Namenträgers verstanden werden. Sie bilden die Brücke von der ursprünglichen Einnamigkeit zur heute allgemein üblichen Zweinamigkeit, wie sie uns in der Kombination von Ruf- und Familienname begegnet. Die Beinamen, die vereinzelt bereits in den Überlieferungen des 9. Jahrhunderts vorkommen, sind zuerst in den Schriftquellen des südlichen und des westlichen deutschen Sprachgebietes belegt. Es wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass sich der Übergang von einem individuellen Beinamen zu einem festen Familiennamen, der über mehrere Generationen vererbt wurde, im Raum des heutigen Sachsen-Anhalt erst ab etwa 1300 vollzogen hat. Aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts datiert beispielsweise die einzige größere Untersuchung zu den mittelalterlichen Familiennamen des Magdeburger Raumes von Rudolf Zoder. Eine Zeitspanne des Festwerdens der Magdeburger Familiennamen lässt sich dieser Arbeit nicht eindeutig entnehmen. Lediglich anhand des Weglassens der Präposition de bzw. von in den Namen des 14. Jahrhunderts (z. B. Johannes de Jericho / Johannes Jericho) und dreier Belege für eine Nichtübereinstimmung von tatsächlichem Beruf und Familienname ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert kann auf die Mitte des 14. Jahrhunderts als Phase des Übergangs vom Bei- zum Familiennamen geschlossen werden. Aus dieser Zeit stammen also auch die „weihnachtlichen“ Namen, die hier betrachtet werden sollen.
Deutschland ist voller Engel, und das nicht nur zur Weihnachtszeit, denn es gibt mehr als 45.935 Personen, die den Familiennamen tragen. Es spielen fünf Quellen für die Entstehung dieses Familiennamens eine Rolle, wobei letztlich aber die christliche Symbolik alles überlagert. Als Patronym, also als vom Vater vererbter Name, ist der Familienname aus Rufnamen entstanden, deren erster Teil nach einer gewissen Entwicklung Engel – lautete. Das sind z. B. Engelbert von ursprünglich Ingwobert. Ingwo – leitet sich seinerseits vom Namen des germanischen Gottes Ingwio ab, der auch für solche Namen wie Ingo oder Inge Pate stand. Auch nach der Bezeichnung des nordseegermanischen Stammes der Angeln, die u. a. gemeinsam mit den Sachsen von der Elbemündung auf die britische Insel übersetzten und dort an der Herausbildung des Altenglischen beteiligt waren, konnte jemand benannt werden. So entwickelte sich z. B. aus Angelmar der Name Engelmair, was zu Engel gekürzt wurde. Das im Zuge der Christianisierung entlehnte Wort angelus wurde ebenfalls in seiner deutschen Form Engel für die Bildung von Rufnamen genutzt. Daraus entstanden dann auch Familiennamen wie z. B. Angilfrid, woraus Engelfried und schließlich Engel wurde. Im ausgehenden Mittelalter war Engel eine beliebte Komponente für Häusernamen, so z. B. Zum goldenen Engel. Wer ein solches Haus besaß oder darin wohnte, konnte einen entsprechenden Namen erhalten, einen Wohnstättennamen. Aber natürlich führten mitunter auch die positiven Eigenschaften eines Menschen dazu, dass jemand Engel genannt wurde.
Ebenso wie der Weihnachtsengel gehört das Christkind zum Heiligabend. Den Familiennamen Christ tragen rund 17.500 Personen in Deutschland. Auch dieser Name gehört in erster Linie zu den Patronymika, also zu den Familiennamen, die nach dem Rufnamen des Vaters vergeben worden sind. Abgleitet wurde der Familienname von ursprünglich fremdländischen Rufnamen wie Christian und Christoph, die bereits im Mittelalter Eingang in die deutsche Rufnamengebung fanden. Christian wurde von dem lateinische Rufnamen Christianus in der Bedeutung ‚zu Christus gehörend, Anhänger Christi’ übernommen, der wiederum auf den griechischen Ursprung Christos ‚der Gesalbte‘ zurückgeht. Christoph (griech. Christophoros ‚Christus tragend‘) fand vor allem als Name des heiligen Christophoros (3. Jh.) im deutschen Sprachgebiet Verbreitung. Familiennamen wie Christ / Krist, Christen / Kersten, Christiansen und Christensen finden in diesen Rufnamen ihre Erklärung und haben dementsprechend sehr viel mit dem Weihnachtsfest zu tun.
Der Name Holle hat nichts mit der aus Grimms Märchen bekannten Person zu tun, deren Ursprung wohl in der frühzeitlichen Verehrung einer Erdgöttin zu suchen ist. Die regionale Verteilung der rund 2.020 Träger des Namens Holle deutet auf zwei Motivierungen hin. Die meisten Holles leben in einer Region, die sich vom Bördekreis nach Westen ausdehnt. Somit muss untersucht werden, ob es einen Zusammenhang mit dem ostfälischen Niederdeutschen (der Dialektbasis in jener Region) gibt. Tatsächlich wird man fündig, denn die Holle ist im Ostfälischen ein ‚Haarbüschel‘ oder eine ‚Stirnlocke‘. Wer nun eine solche Haarpracht aufzuweisen hatte, konnte von seinen Mitmenschen nach diesem Merkmal benannt werden. Damit handelt es sich bei Holle um einen Übernamen nach einem äußeren Merkmal des ersten Namenträgers, das sich natürlich (leider?) nicht unbedingt bis heute weitervererbt haben muss. Die zweite Entstehungsmöglichkeit des Familiennamens beruht auf mehreren Ortsnamen, nach denen Menschen benannt worden sind, die von dort fortzogen. In Frage kommen die noch heute existierenden Orte gleichen Namens nördlich Bockenem, bei Lohne und zwischen Bad Zwischenahn und Osterholz-Scharmbeck.
Für rund 80 Personen in Deutschland ist immer Weihnachten, denn sie tragen den Familiennamen Weihnacht. Dieser Familienname ist als Übername nach bestimmten Merkmalen entstanden. Die Besonderheit des Namenträgers, der von seinen Mitmenschen Weihnacht genannt wurde, bestand sicher darin, zu Weihnachten geboren worden zu sein. Mitunter kann auch eine zu Weihnachten fällige Zinszahlung zu diesem Beinamen geführt haben.
Allen Leserinnen und Lesern – auch mit weniger „himmlischen“ Familiennamen – wünschen wir frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr!