Kriegsweihnachten im Ersten Weltkrieg in Halle und dem Saalkreis

von Walter Müller | Ausgabe 4-2017 | Geschichte

Granatenproduktion in der Maschinenfabrik Dehne in der hallischen Schimmelstraße. Ein Großteil der Belegschaft sind bereits Frauen, Foto 1916 oder 1917; Slg. W. Müller
Brotmarke Saalkreis, Rückseite 1915; Sammlung Walter Müller
Metallbrotmarke der Stadt Halle aus dem Jahre 1915 (Rückseite), Sammlung Walter Müller
Metallbrotmarke der Stadt Halle aus dem Jahre 1915 (Vorderseite), Sammlung Walter Müller

Der Erste Weltkrieg begann am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien und endete am 11. November 1918 mit dem Sieg der aus der Triple-Entente hervorgegangenen Kriegskoalition. Deutschland trat mit der Kriegserklärung am 1. August 1914 an Russland und am 3. August an Frankreich in den Krieg ein und gehörte zu den Kriegsverlierern. Bis Ende 1917 befand sich Deutschland im Zweifrontenkrieg und schon ab 1915 wurden die Versorgungsmängel im deutschen Reich vor allem durch die britische Seeblockade in der Nordsee für die Zivilbevölkerung immer spürbarer. Am Beispiel des Weihnachtsfestes soll dies für Halle und den Saalkreis für die Jahre 1915 bis 1918 untersucht werden. In Halle war der städtische Brotschein mit dazugehöriger Metallbrotmarke der Stadt zwecks Kontingentierung des Mehlverbrauchs pro Kopf und Tag bereits seit 1. März 1915 in Gebrauch. Im Saalkreis dürfte die Einführung von Brotmarken etwa zur gleichen Zeit erfolgt sein. Damit konnte eine Person in der Saalestadt vier Brotmarken pro Woche beziehen. Die Saalestadt war eine der ersten Städte Deutschlands, deren Magistrat Brotmarken und kurz danach auch Nahrungsmittelhefte für die Haushalte einführte und damit die Lebensmittel rationierte.

Nach und nach mussten weitere Lebensmittel und Gebrauchsgüter rationiert werden. Schon am 16. Februar 1915 war im „Anzeiger für Stadt und Land Cönnern und Wettin“ zu lesen: „Kuchen darf an Roggen- und Weizenmehl insgesamt nicht mehr als 10 Prozent des Kuchengewichts enthalten … Draußen kämpfen und sterben unsere Brüder und Väter gegen die Feinde, die Deutschland aushungern wollen …“ Die Bestimmung, dass Kuchen nicht mehr als 10 Prozent Mehl enthalten darf, galt ohne Unterschied für Bäckereien, Konditoreien, Gast- und Schankwirtschaften und natürlich Privathaushalte im gesamten Reich. Am 2. Dezember 1915 verbot der Magistrat der Stadt Halle aufgrund des § 49 der Bundesratsverordnung über den Verkehr mit Brotgetreide und Mehl aus dem Erntejahr 1915 vom 28. Juni die Herstellung von Kuchen, Stollen und Napfkuchen aus Hefeteig. Ausdrücklich wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass dieses Verbot auch für private Haushalte galt und Zuwiderhandlungen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu 1.500 Mark bestraft werden. Dass diese Verordnung weitestgehend akzeptiert und auch umgesetzt und kontrolliert wurde, ergibt sich aus zahlreichen entsprechenden Pressemitteilungen. So wird im Bericht über die Weihnachtsfeier der hallischen Veteranen und Veteranenwitwen aus den Befreiungskriegen 1866 und 1870/71 im hallischen „General-Anzeiger“ vom 28. Dezember 1915 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „jeder sein Päckchen mit Pfefferscheibe, Aepfeln und einer Kriegswurst, anstelle der sonst üblichen Weihnachtsstolle …“ als Geschenk erhielt.

Im 1950 nach Halle eingemeindeten Saalkreisort Büschdorf hatte der Gemeindevorsteher, Fabrikbesitzer Block, eine „Christfeier“ für die Landwehrfrauen und deren Kinder organisiert. „Die Gemeinde hatte 600 Mark bestimmt, um ihren im Felde stehenden Mitgliedern Gruß und Liebesgabe zu senden, deren Frauen und Kindern eine Weihnachtsfreude zu bereiten. Auf langen Tafeln standen, sorgfältig und liebevoll ausgewählt und geordnet, Lebensmittel für die Frauen, Spielzeug für die Kinder.“ [1] Auch aus den Berichten über die zahlreichen Kriegsweihnachtsfeiern 1915 im Saalkreis, zum Beispiel aus Gröbers, Lochau, Dieskau, Teutschenthal, Löbejün, Osendorf und Radewell wird ersichtlich, dass sich sehr streng an das Stollenbackverbot gehalten wurde und Stollen Weihnachten 1915 zumindest bei offiziellen Feiern nicht angeboten wurde.

Der sonst übliche Gänsebraten in bürgerlichen Haushalten dürfte zu Weihnachten 1915 ebenfalls schon „ein Luxusessen“ gewesen sein. Denn für eine Weihnachtsgans wurden zwei bis drei Mark für das Pfund verlangt. Das waren „Liebhaberpreise“, die sogar die Angehörigen des Mittelstandes schwerlich zahlen konnten. Der „General-Anzeiger“ vom 31.12.1915 stellte dazu fest: „Der Ausfall in der Gänsezufuhr ist um so bedauerlicher, als dadurch auch das Gänsefett uns entzogen wird, das in Anbetracht der Knappheit in Schweinefetten doppelt willkommen sein müsste. Rußland allein lieferte in den letzten Jahren rund 7,5 Millionen Stück lebende Magergänse nach Deutschland.“

Zum Weihnachtsfest 1916 durfte deutschlandweit aufgrund der Knappheit von Butter ebenfalls kein Stollen hergestellt werden. Das Direktorium der Reichsgetreidestelle beschloss im November 1917 dann sogar aus dem Erntejahr 1917 „Mehl weder zur Herstellung von Keks noch von Leb- und Honigkuchen den Betrieben zu überlassen.“ Die Pfefferküchlereien waren daher nicht in der Lage, ihre Erzeugnisse auf den Weihnachtsmarkt zu bringen.

Besonders hart hatte die Zivilbevölkerung im sogenannten Steckrübenwinter 1916/1917 zu leiden. Aufgrund einer wetterbedingt besonders schlechten Ernte musste im Februar 1917 die durchschnittliche Tagesration auf 1.000 Kilokalorien (der tatsächliche Durchschnittsbedarf betrug: 2.410 Kilokalorien) gesenkt werden. Die Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung eskalierten und der Steckrübenwinter führte zugleich zu einem tiefen Einschnitt in der kollektiven Wahrnehmung der Kriegsfolgen in der Heimat. Die erste große Aktion gegen den Krieg war in Halle der Antikriegsstreik am 15. August 1917. Zugleich war dieser ein Zeichen für die wachsende Antikriegsstimmung in vielen Bevölkerungsschichten. Mit diesem Streik wurde eine neue Qualität erreicht. Die Fähigkeiten des Staates, die Ernährungsversorgung zu sichern, wurden immer begrenzter und die Städte und Gemeinden immer mehr gezwungen, nach eigenen Lösungen zu suchen. Ernährungswirtschaftlich war der Krieg für Deutschland schon 1916 verloren.[2]

Der im Verlaufe des Ersten Weltkrieges immer stärker werdende Nahrungsmittelmangel und die damit im engen Zusammenhang stehende zunehmende Rationierung und Mengenkürzungen nahezu aller Grundnahrungsmittel und der meisten Güter des täglichen Gebrauches waren aber nur eine der unmittelbaren Folgen, die besonders in der sogenannten „Heimatfront“ immer offener sichtbarer wurden. Inzwischen gab es in nahezu allen Familien teilweise mehrere Familienmitglieder, die Militärdienst an der Front leisteten. Zahlreiche Familien hatten bereits Angehörige verloren und der Glaube an den Endsieg im Zweifrontenkrieg schwand dahin. Bereits ab Mitte 1916 war eine Kriegsmüdigkeit festzustellen. Die Mehrheit der Bevölkerung wünschte sich einen baldigen Waffenstillstand bzw. Frieden. Besonders zu Weihnachten wurde diese Friedenssehnsucht in den Familien deutlich, wenn der Vater oder mehrere Söhne an der Front waren. Auch mit den wenigen Lebensmitteln, die man überhaupt noch hatte, wurden zunächst die Angehörigen an der Front zum Weihnachtsfest versorgt, die Frontpakete mit kleinen Geschenken im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde abgespart.

Weihnachten 1917 ging als „Einkerzenbaum“ in die Geschichte ein. Inzwischen waren nämlich auch Kerzen streng rationiert wurden. Im „General-Anzeiger“ Halle war dazu am 18. Dezember zu lesen: „Es gibt keine Christbaumlichter. Und wie man sich an den Kaffee ohne Kaffeebohnen, die Stulle ohne Fett, den Eierkuchen ohne Eier gewöhnen mußte, so wird man sich diesmal mit dem Lichterbaum ohne Lichter abfinden müssen. Doch nicht ganz ohne Lichter. Man hört überall; ein Licht haben sie sich aufgespart, haben sie durch alle Anforderungen der finsteren Tage hindurch gerettet, ein Licht für den diesjährigen Weihnachtsbaum.“ Große Erwartungen an das inzwischen vierte Kriegsweihnachtsfest bestanden ohnehin nicht. Dem Kreis Merseburg war es wenigstens gelungen, für seine rund 93.300 Bewohner 37 Zentner Kunsthonig zu beschaffen, die kurz vor dem Fest verteilt wurden. Jeder Kreisbewohner erhielt damit auf die Lebensmittelkarte rund ein halbes Pfund. In Lochau organisierte die Gemeinde für alle Kinder der zum Kriegsdienst einberufenen Einwohner eine Weihnachtsfeier im Gasthof Fersch. Aus den Händen der Gemeindevertreter erhielten die Kinder den „Verhältnissen entsprechend bescheidene Gaben“ überreicht.

[1] „General-Anzeiger für Halle und den Saalkreis“, Nr. 302 (27. 12. 1915)

[2] Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914 – 1949, München 2003, S. 61.