„Freie Feldlage“ Harzgerode: Wie eine Gemeinschaft einen verlassenen Ort wiederbelebt

Julia Pleintinger | Ausgabe 3-2021 | Bürgerschaftliches Engagement

Verschiedene Bewohner der Freien Feldlage. Foto: Matthias Behne
Der unsanierte Gebäudeteil der ehemaligen Lungenheilanstalt in Harzgerode. Foto: Matthias Behne
Beim Ausbau wird so viel wie möglich selbst gemacht. Foto: Matthias Behne
Der Garten wartet nicht! Foto: Matthias Behne
Ökologische Technik, die den Alltag erleichtert: Ein selbstgebautes Lastenrad. Foto: Matthias Behne
Zusammen mit einer neuen Mitbewohnerin sind auch zwei Ziegen eingezogen, die uns bei der Landschaftspflege unterstützen. Foto: Matthias Behne
Eine architektonische Besonderheit des Gärtnereigebäudes: Die beiden Gewächshäuser sind direkt ans Gebäude angegliedert. Foto: Matthias Behne
Junges Gemüse und Alte Bäume: In der Freien Feldlage Harzgerode wachsen nicht nur Pflanzen, sondern auch Gemeinschaft. Foto: Matthias Behne

Gerade ist wieder ein Kennenlernwochenende vorbei. Das Erste seit Beginn der Corona-Zeit. 11 Menschen waren da, um sich einen Eindruck von unserer Gemeinschaft zu machen und genauso viele sind noch auf der „Warteliste“. Das Interesse am Leben in Gemeinschaft ist groß. In der Corona-Zeit waren wir alle sehr froh, nicht mit Kleinfamilie oder gar allein in einer kleinen Bude zu wohnen, sondern hier viel Platz und viele Menschen um uns zu haben – trotz aller Konflikte, die so ein Zusammenleben mit sich bringt, denn auch selbstgewählte Gemeinschaft ist nicht immer Friede Freude (veganer) Eierkuchen.

Wir sind die Gemeinschaft „Freie Feldlage“ am Rand des kleinen Örtchens Harzgerode im Ostharz. Aktuell leben wir hier mit ca. 17 Menschen zwischen 1 und 55 Jahren. Angepeilt sind 50 – 80 Menschen und wir werden auch stetig mehr.

Unser Wohnort ist eine ehemalige Kinder-Lungenklinik im Stil des Neuen Bauens, erbaut 1929 – 1931, entworfen vom jungen Architekten Godehard Schwethelm, der für Krankenhausbauten bekannt wurde. Das denkmalgeschützte Ensemble umfasst mehrere Gebäude und ein Sonnenreflektions-Wasserbecken. Die Anlage wurde präzise und städtebaulich durchdacht, d. h. es gibt auch Wohnhäuser für Personal und eine Gärtnerei. Außerdem sind die Krankenzimmer nach Süden oder Südosten ausgerichtet und mit großen Fensterfronten versehen, um möglichst viel heilendes Licht ins Gebäude zu lassen. Licht und Luft waren zur Bauzeit der Klinik die wichtigsten Heilmittel gegen Tuberkulose.

Die Heilstätte, zunächst auf Tuberkulose spezialisiert, später auf Lungenkrankheiten generell, wurde 1998 endgültig geschlossen und stand fast 20 Jahre leer. 2017 / 18 fanden sich die ersten aus unserer Gruppe zusammen und zogen ein. Seitdem kamen zahlreiche erwartete und v.a. unerwartete Herausforderungen auf uns zu und überhäufen uns mit Aufgaben, denn mit 21 Hektar Gelände (Wald und Wiese) und 5.000 m² Gebäudefläche werden wir nicht so schnell fertig: Bauanträge stellen und die behördlichen Auflagen abarbeiten, hierarchiefreie Selbstorganisation aufbauen, den Gemüsegarten anlegen, als Gruppe zusammenwachsen, Einkommen erwirtschaften z. B. durch Gruppenübernachtungen, … – eine endlose und nie ganz schaffbare Liste. Und das ist trotz aller Überforderung auch okay und auch teils schön. Denn es lässt Platz für Träume – wenn wir uns die Zeit dafür nehmen:

Die „Freie Feldlage“ als Ort für Freiräume, Lernräume, Offene Werkstätten, Bildungsveranstaltungen, Übernachtungsgäste, ein Café, eine Solidarische Landwirtschaft, Permakultur, einen Waldkindergarten und eine Freie Schule, ökologische (Low-Tech-)Lösungen, Kultur im großen Saal und auf der Wiese (Kino, Konzerte und mehr), politisches Aktivsein für sozial-ökologischen Wandel, Persönlichkeitsentwicklung, ein gesundes Miteinander u.v.m. Manches davon ist in der Umsetzung, anderes muss noch warten.

Mit unseren Wegen und Zielen wollen wir uns nicht nur ein schönes Leben machen, sondern etwas bewirken in der Welt. Zum Beispiel ist uns wichtig, niemanden aus finanziellen Gründen auszuschließen. Für uns heißt Gemeinschaft, dass wir der gesellschaftlichen Vereinzelung entgegenwirken, Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft u. ä. zusammenbringen und gerade den Menschen Raum geben wollen, die aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer finanziellen Lage benachteiligt werden.

Dass die Heilstätte Harzgerode einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, nicht nur bei ehemaligen Patient*innen und Angestellten, ist eine schöne Möglichkeit, trotz der abgelegenen Lage regelmäßig Besuch zu bekommen. Und so geben wir gerne jeden Samstag um 15 Uhr eine Führung. Und auch unser Freundeskreis-Verein ist explizit als Brücke gedacht zwischen uns und wohlgesonnenen interessierten Menschen, die uns unter­stützen wollen ohne hier zu wohnen.

Wenn ihr noch mehr erfahren, mal vorbeikommen, mit an­packen, oder gar einziehen wollt, dann findet ihr im Internet noch mehr Informationen und könnt uns kontaktieren:

www.freiefeldlage.de

 

Zur Baugeschichte und zum Denkmalwert der ehemaligen Kinder-Lungenklinik-Harzgerode, Freie Feldlage 5 – 9

Andreas Huth

Das Gesamtensemble der ehemaligen Kinder-Lungenklinik-Harzgerode befindet sich auf einem 21 Hektar großen Grundstück nördlich der Stadt im landschaftlich reizvollen Forstgelände Grubig. Der Klinikkomplex wurde 1927 im Rahmen eines Wettbewerbes der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt von dem in Erfurt gebürtigen, deutschen Architekten Godehard Schwethelm (1899 – 1992) entworfen und unter seiner Leitung von 1929 bis 1931 errichtet. Die Gestaltung der Gebäude folgt einem einheitlichen Terrassenkonzept in der Formensprache der Klassischen Moderne bzw. der Neuen Sachlichkeit unter Verwendung von dekorativen Elementen des Art déco.

Als Fachkrankenhaus für Lungen- und Bronchial­erkrankungen mit dem Schwerpunkt der Tuberkulosebehandlung (TBC) bestand die Einrichtung bis zu deren Schließung im Jahr 1998. Die Behandlung der Patienten erfolgte durch sogenannte Freiluft-Liegekuren. 1995 bis 1997 fanden letztmalige Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten am Ostflügel und Zentralbau statt. Den Kernbau des Klinikensembles bildet das vierflügelige Krankenhaus mit abgewinkelten Betten- und Funktionstrakten. Das Bild der Gebäudeflügel wird überwiegend durch eine horizontale Gliederung mit zeittypischen Liege- und Balkonterrassen geprägt. Hinzu treten die markant durchfensterten Treppentürme und teilweise begehbare Flachdächer.

Von außerordentlichem Aussagewert kündete die zum Zeitpunkt der Erfassung im September 1999 noch in weiten Teilen erhaltene originale Raumausstattung, u. a. ein komplettes Patientenzimmer, das Chefarztzimmer, der Konferenzraum und  das Foyer mit Lampen und Blumenständern. Zu den denkmal­tragenden Bestandteilen der Gesamtanlage gehören die Chef­arztvilla, die Oberarzthäuser, das Garagengebäude mit Torfahrt und Pförtnerwohnung, das Pförtnerhaus, das Verwalterwohnhaus, das Infektions- und Quarantänegebäude und die Gärtnerei. Der umgebende Park mit dem großen rektangolären Wasserbassin rundet das Gesamtbild des Klinikensembles  wirkungsvoll ab. Die ehemalige Lungenheilanstalt zu Harzge­rode ist architekturhistorisch und baukünstlerisch als Bauwerk der Neuen Sachlichkeit und als medizingeschichtliches Dokument des Krankenhaus­baus im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts von hohem überregionalem Rang.