Kirchhöfe zwischen Substanzverlust und Gestaltungswillen*
von Petra Karrasch | Ausgabe 3-2017 | Lebendiges Kulturerbe
* Am 28. April 2017 fand in Naumburg die gleichnamige Fachtagung des Verbandes der Kirchbauvereine Sachsen-Anhalt e.V. statt.
Der VDKSA dankt den Vortrags- und Podiumsgästen: Dr. Hans-Joachim Döring / Umweltbeauftragter der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, Heike Tenzer / Landesamt für Archäologie und Denkmalspflege Sachsen-Anhalt, Superintendentin Ingrid Sobottka-Wermke / Kirchenkreis Naumburg-Zeitz, Superintendentin Christiane Kellner / Kirchenkreis Merseburg, Bärbel Chrapa / Förderverein Vollenschierer Kirche e.V., Friedrich Brinkmann / Förderverein Gützer Kirche e.V., behnelux gestaltung / Halle, Architekturbüro Sauer / Köthen und Dieter Heck / Stumsdorf
Friedhöfe gehören zu den stärksten inneren Bildern des Menschen, gespeist aus Religion, Märchen und dem Amalgam aus bildender Kunst, Literatur, Film und Musik, aus Deutscher Romantik und Ritualen, aus Reiseerlebnissen und der eigenen Betroffenheit als Trauernde. Feine Antennen signalisieren, wenn da etwas in Bewegung gerät.
Historische Grabsteine liegen aufgetürmt und zum Abtransport bereit, das großflächige Fällen von Bäumen sorgt für Beunruhigung, eine historische Toranlage wird abgerissen. Immer öfter bleiben leer geräumte, rasenmähertaugliche Flächen zurück. Baumarktelemente ersetzen die vertrauten Feldsteinmauern. Leerflächen dominieren das Areal. Aber auch das gehört zur Wirklichkeit: aus Brachflächen werden Wildblumenwiesen, Besucher treffen auf einladende Verweilorte, Konzerte erklingen unter uralten Bäumen, historische Friedhofsmauern werden wieder aufgebaut und nicht mehr genutzte Kapellen laden zum Trauercafé ein.
Es kann nicht überraschen, dass der Blick der Fördervereine für kirchliche Baudenkmale und Kunstschätze irgendwann auf die Kirchhöfe, auf damit verbundene Defizite aber auch auf deren Potential fällt. Der Verband der Kirchbauvereine Sachsen-Anhalt e.V. (VDKSA) und seine Mitgliedsvereine kamen im April in Naumburg mit kirchlichen Friedhofsbetreibern und Ehrenamtlichen, Touristikern und Heimatpflegern, Kunsthistorikern und ökologisch Passionierten, dem Landesdenkmalamt, der Mitteldeutschen Landeskirche und dem Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. zusammen, um eine Bestandsaufnahme der aktuellen Entwicklungen von Kirchhöfen vorzunehmen, um kreative und zukunftsfähige Lösungen kennenzulernen, Handlungsbedarf zu benennen und Grundlagen für gemeinschaftliches Handeln auszuloten.
Kirchen und ihre Kirchhöfe sind unser gemeinsames Kulturerbe
Während im 16. Jahrhundert in den Städten die Begräbnisstätten allmählich aus Kirchen und Kirchhöfen auf den Gottesacker an den Ortsrand verlagert wurden, blieben in den Dörfern viele Kirchhöfe bis heute aktive Bestattungsorte. Historische Zeugnisse, einstige Gestaltungsideen und botanische Besonderheiten konnten hier überdauern.
Eingelassen in Kirchenmauern künden Epitaphe noch immer von der Bestattungskultur der Renaissance und der Barockzeit, deren Formensprache bis in unsere Tage flächendeckend in Gestalt von Fragmenten, Einzelgrabdenkmalen oder komplexen Grab- und Gruftanlagen erhalten ist. Historische Friedhöfe wie die von Merseburg, Halle, Eisleben oder Baasdorf zeigen darüber hinaus die Prinzipien für die Komposition ganzer Friedhofsanlagen in früheren Zeiten.
Das 18. Jahrhundert brachte, wie beispielsweise auf dem Unteren Johannisfriedhof in Zeitz ersichtlich, allmählich eine neue Formensprache in die Grabgestaltung. Es wurden ein beeindruckender, vielfach allegorischer Figurenreichtum, Tafeln mit poetischen Texten, Säulen und steinerne Urnen geschaffen. Wenig später entstanden neue Garten- und Landschaftsbilder. Die Malerei der Romantik hat sie unsterblich gemacht.
Die Gartenbaukunst dieser Zeit schuf beeindruckende Anlagen mit Kapellen, Wegesystemen, unterschiedlichen Friedhofsräumen, Pflanzengemeinschaften aus Hecken, Solitären und Baumreihen. Einzigartig ist die künstlerische und handwerkliche Qualität von Mausoleen, Grabmalen und Bildwerken. Dies fand im 19. und insbesondere im 20. Jahrhundert seine Fortsetzung und künstlerische sowie gesellschaftliche Adaption. Bevölkerungswachstum, einsetzende Säkularisierung, erste Feuerbestattungen und die häufig durchgeführte Übertragung in kommunale Hand veränderten das Gesicht der Friedhöfe. Sonderformen des Gedenkens wie Kriegsgräberanlagen, Gefallenendenkmale, Einzelgedenkorte für Persönlichkeiten oder historische Ereignisse wurden angelegt. Park- und Waldfriedhöfe wie z. B. der Leipziger Südfriedhof, der Waldfriedhof von Droyßig oder Sonderformen wie der Freidenkerfriedhof von Haynsburg entstanden. Eiserne Grabkreuze erinnerten zum Beispiel in Kötzschau nun an die Verstorbenen. Das Bürgertum demonstrierte mit beeindruckenden Gruftkapellen, Grabmalen und Bildwerken gesellschaftlichen Rang, Kunstsinn und Zeitgeist. Die Anlagen wurden zu Kleinoden der Garten- und Landschaftsbaukunst und zu Refugien der Artenvielfalt, Naherholung, der Geschichts- und Kunstbetrachtung für die Lebenden. Als Gärten der Melancholie sind sie Teil unseres Bewusstseins und unserer Kulturlandschaft. Im Kleinen finden sich die Veränderungen auch auf manchem Dorffriedhof.
Wenn Theodor Fontane meint, ein jedes Dorf habe seine sieben Schönheiten, so gehört zweifellos der Kirchhof dazu. Kirchhöfe sind mit ihren speziellen topographischen und naturräumlichen Gegebenheiten, mit ihren botanischen Besonderheiten und ihrer Fauna, mit regionaltypischen Baumaterialien und Bauweisen, mit handwerklichen und künstlerischen Handschriften, mit der historischen Ensemblegestaltung in der Dorfmitte einzigartig und schön. Sie tragen zur Unverwechselbarkeit des Ortsbildes und der Kulturlandschaft bei und stärken Heimatgefühl und kulturelle Identität.
So wundert es nicht, wenn die Kirchhöfe mehrheitlich unter Denkmalschutz gestellt sind. Der Denkmalschutz erfasst das Baudenkmal Kirche mit seiner Ausstattung und seiner Gesamtanlage, zu der der Kirchhof gehört.
Als Heike Tenzer, Expertin für Gartendenkmalpflege des Landesamtes für Denkmalschutz und Archäologie des Landes Sachsen-Anhalt dies in ihrem Beitrag zur Fachtagung in Naumburg ausführte, entstand Unruhe im Auditorium. Die meisten Teilnehmer erstaunte, dass womöglich auch ihr Friedhof denkmalgeschützt sein könnte. Geschützt sind die Elemente und Merkmale der historischen Anlage: Grabsteine und -male, Grabeinfassungen mit Säulen, Gittern und Ketten, Kapellen, Tore und Mauern, Wege- und Gliederungssysteme, Bäume, Sträucher, Hecken und efeuüberwucherte oder einsinkende Objekte, Fragmente und Areale.
Dennoch geht in Dörfern die historische Gestaltung und Ausstattung der Friedhöfe schleichend, kaum reflektiert und öffentlich wahrgenommen, verloren. Das betrifft stillgelegte und aktive Friedhöfe gleichermaßen. Die Kirchgemeinden, seien sie noch so klein, müssen ihre Friedhöfe kostendeckend führen. Der bemerkenswerte Pflegezustand vieler Grabstellen kann nicht darüber hinweg täuschen, dass der Veränderungsdruck längst da ist. Der gesellschaftliche Wandel auch in der Trauer- und Bestattungskultur, neue Vorstellungen von einem individuellen und zeitgemäßen Bestattungsort, Wandlung der Lebensstile, Bevölkerungsrückgang, den aktuellen Bedingungen nicht angepasste Gebührenniveaus und schrumpfende Kirchgemeinden stellen das herkömmliche Betriebsmodell des kirchlichen Friedhofs infrage. Wirtschaftsbetrieb und Kulturerbe stehen nicht automatisch in einer gedeihlichen Koexistenz. Das ist eine Seite.
Auf der anderen Seite gelangt immer öfter die historische und kulturelle Bedeutung der Kirchhöfe in den Fokus, zum Beispiel, wenn umfassende Kircheninstandsetzungen mit behutsamer Nutzungserweiterung realisiert und eine Offene Kirche mit einem Kultur- und Bildungsangebot angestrebt wird. Dann ist Veranstaltungsraum mit im Blick und die Fördervereine lenken ihre Aufmerksamkeit auch auf seine historische, architektonische, künstlerische und botanische Ausstattung.
Die Akteure stoßen jedoch oft auf strategische und konzeptionelle Defizite auf der Betreiberseite, während sich die ehrenamtlich Verantwortlichen für das Bestattungswesen selbst nicht hinreichend gerüstet fühlen. Es fehlen die Ideenwerkstätten, Interessen- und Zielformulierungen sowie Entwicklungskonzeptionen und Beratungsangebote, bezahlbar, versteht sich. Diese wären auch Voraussetzung für Projekte der Kirchgemeinden mit spezialisierten Landschaftsplanern oder für die Entscheidungsvorbereitung ob, wann und wie ein Friedhof Nutzungserweiterungen erfahren soll, weiter betrieben, stillgelegt oder in kommunale Hand überführt werden soll. Kirchhöfe können nicht ohne Kirche und Gemeindeleben und auch nicht ohne Dorfleben gedacht werden.
Kirchhöfe als steinerne Kunstsammlungen, Geschichtsbücher und ökologische Refugien
Kirchhöfe sind letzte Ruhstätte, Orte der Trauer- und Erinnerung sowie der seelsorgerlichen Begleitung. Sie sind die grünen Entrees der Dorfkirchen und erzählen wortlos von der Vergangenheit, aber auch von der aktuellen Verfassung der Kirchgemeinde und ihrer Zukunftsfähigkeit.
Der Kirchhof steht offen für Kunstbetrachtungen. Gräber und Grabfragmente, Grüfte und Mausoleen, Mauern, Tore, Wappen, Inschriften, Mahnmale und Kapellen geben Auskunft über Architekten und Künstler, über Epochen, Stile und Moden, über Materialästhetik oder über die Garten- und Landschaftsgestaltung. Es lassen sich Brücken schlagen zu Musik, Malerei und Bildender Kunst. Oder Kirchhöfe entfalten ihre Magie im Verfall – verwunschen und schön. Spickendorf, Holleben oder die Wüstung Treben bei Dehlitz an der Saale sind Beispiele dafür.
Deshalb wird um das Bewahren und dort, wo es notwendig ist, um die Neuinszenierung an einem neuen Standort gerungen. Oder es wird ein gelenktes Verwildern ermöglicht. Im Idealfall leisten Freiwillige Forschungsarbeit und bieten Information und Führungen.
Der Altstadtverein von Merseburg engagiert sich für den historischen Friedhof St. Maximi, ein großer Bürgerverein sorgt für den Johannisfriedhof in Jena. Im kleinen Horburg gibt es gute Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Familien. Sommerliche Denkmalswerkstatt-Tage machen bekannt mit Kirche, Kunst und Kirchhof.
Ein historischer Schatz ist der Kirchhof von Baasdorf mit seinen barocken Grabsteinen und Mausoleen. Sie zeugen vom Wohlstand und Repräsentationsbedürfnis der einst wohlhabenden Bauern des Dorfes. Kirchhof und Kirche waren bereits aufgegeben und ruinös geworden, bis die Kirchgemeinde die Entscheidung für eine Wiederbelebung fällte. Eine umfassende Kirchensanierung mit Nutzungs- und Funktionserweiterung wurde konsequent verbunden mit einer neuen Konzeption und Gestaltung für den großen Kirchhof, der nun in einen Park der Stille mit den historischen Gräbern und einen Park des Lebens mit Freiflächen für Feste und Kunstaktionen gegliedert ist. Im Park der Stille wird es auch Areale für die erwünschte Verwilderung geben. Zeitweilig oder auf Dauer könnte sich die auch auf manche der historischen Grabkapellen erstrecken.
Ohne den Nietzsche Verein Röcken e.V. und sein Zusammenwirken mit der Kirchgemeinde Lützen wäre die wachsende Anziehungskraft von Röcken nicht denkbar. Seit jeher besuchen die Nietzsche-Fans aus aller Welt die Geburtsstätte und das Grab von Friedrich Nietzsche. Allmählich entfaltet sich jedoch ein bemerkenswertes Kultur- und Geistesleben in dem Ensemble aus Kirche, Kirchhof, Grabstätte, Pfarrhaus- und Pfarrgarten sowie dem Ausstellungszentrum. Die Skulpturengruppe des Bildhauers Claus F. Messerschmidt „Röckener Bacchanal“ bewegt seit 2000 ihre Betrachter. Noch ein Geheimtipp ist Röcken auf dem besten Wege, zu einem der kleinen und feinen Kulturorte zwischen Leipzig, Halle, Naumburg und Jena zu werden. Von Röcken könnte eine Ermutigung ausgehen, moderne Kunst auf manchen ländlichen Kirchhof zu bringen. Viel zu selten dringen heute anspruchsvolle zeitgenössische Gestaltungen bzw. Werke auf die Friedhöfe außerhalb der Metropolen vor.
Kirchhöfe sind steinerne Geschichtsbücher. Die Grabsteine erzählen Familiengeschichten, Kirchen-, Dorf- und Regionalgeschichte und sind Fundgruben für Genealogen. Sie berichten über Berufe und Stände, Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, Biographien und ihre schicksalhafte Kreuzung mit der europäischen und der Weltgeschichte. Sie erzählen über Kriege, Flucht und Vertreibung. Daher wäre es wünschenswert, auch ausgewählte Grabsteine aus der Zeit zu bewahren, aus der nun die letzten noch lebenden Zeitzeugen verschwinden.
Das Angebot, auf Holzstegen inmitten von Wildblumenwiesen rund um die Rittergutskirche von Kleinliebenau zu verweilen, zieht Besucher, Wanderer, Radler oder Pilger an. Weil die historische Substanz verloren war, konnte man hier gänzlich neue Lösungen ausprobieren. Ganz anderes zeigt sich die Situation in Kötzschau. Dort sind die historischen Spuren der Friedhofsanlage mit den typischen Büschen, Bäumen, Baumgruppen und Bodendeckern, mit sich schlängelnden Wegen, kleinen Alleen, Blickachsen oder Inseln der Verwilderung erhalten. Die auch hier wachsenden Freiflächen ordnen sich nahezu organisch in die Anlage ein. Manche Friedhöfe stehen auch längst wegen ihres Artenreichtums in Flora und Fauna unter Naturschutz. Wenn die Freiflächen auf den Friedhöfen größer werden ist es an der Zeit, nach neuen Lösungen, z. B. mit einem kulturellen oder ökologischen Mehrwert zu suchen.
So machen wir das
In der Podiumsdiskussion auf der Fachtagung in Naumburg kamen unter anderem die Fördervereine der Kirchen von Vollenschier und Gütz zu Wort.
Die neugotische Kirche von Vollenschier gilt als eine der schönsten in der Altmark. Sie bildet mit dem umliegenden Friedhof und seiner Tor-Mauer-Anlage ein eindrucksvolles Ensemble, das 1878 nach Plänen von Baurat Conrad Wilhelm Hase vollen
Kirche. Das konnten auch die engagierten Dorfbewohner zuletzt nicht mehr abwenden. Eindringendes Regenwasser zerstörte Teile der kunsthistorisch wertvollen Wandmalereien. Ganze Putzflächen stürzten in den Sakralbau.
Im Jahr 2000 gründete sich der Förderverein zur Rettung der Gutskirche, der um Spendengelder und Fördermittel für die Sanierung der Kirche wirbt. Der erste Erfolg stellte sich 2005 mit der Restaurierung der Patriarchenloge ein. Dafür konnten Mittel aus dem europäischen LEADER-Programm akquiriert werden. Von Anfang an wurde dem Kirchhof mit Mauer und Toranlage das gleiche Gewicht im Bauensemble zugemessen. Für die Rettung der 200 m langen Friedhofsmauer entstand eine Kooperation mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Daraufhin schlug die Jugendbauhütte Quedlinburg 2016 und 2017 ihr Sommercamp auf den Wiesen vor dem verwaisten Schloss auf und zwanzig junge Männer und Frauen im Freiwilligen Sozialen Jahr kamen mit Leiterin, Architekt und Bauleiter jeweils 9 Tage lang, um zu roden, zu entrümpeln, Mauerelemente zu bergen, den Neuaufbau und die Ergänzung von Mauerabschnitten zu besorgen.
Die Gemeinschaftsarbeit mit den Vereinsmitgliedern und Dorfbewohner*innen beförderte das Kennenlernen und gegenseitige Verstehen unterschiedlichster Lebensverläufe in Stadt und Land. Es wurde gemeinsam gearbeitet, gekocht und gefeiert. Rege Anteilnahme am Camp der Jugendbauhütte zeigten die Medien mit ihrer Berichterstattung. Der Stendaler Bürgermeister und die Kreissparkasse Stendal leisteten großzügige finanzielle Unterstützung. Inzwischen gibt es Überlegungen, wie man mit dem Konzept „Friedhof im Friedhof“[1] störungsfreie Kulturflächen gewinnen kann.
Auch die Geschichte der Gützer Kirche ist eine des Verfalls. In den 1970er Jahren wurden die Kirche und der Kirchhof von Gütz aufgegeben. Die Kirche verfiel und der Friedhof verwilderte. Das wollten Bürger von Gütz nach der Wende so nicht mehr hinnehmen. Es formierte sich eine Bürgerinitiative, die den unhaltbaren Zustand des ehemaligen Friedhofs in der Ortsmitte verändern und den Friedhof reaktivieren wollte.
Heute empfängt bereits auf der Straße ein Willkommensschild die Besucher des Friedhofes. Er ist weiträumig und klar gegliedert in einen Kirchhof – so wird der aktive Friedhof bezeichnet – und in einen Kirchgarten, einem Areal für Feste, Veranstaltungen, Kunst, ökologische Projekte und mehr. Beide Teile werden durch die Kirche voneinander getrennt.
Während der Wiederherstellung des Friedhofs wurde die Idee geboren, die Kirche wieder aufzubauen. Der Förderverein Gützer Kirche e. V. hat seit 1997 eine eindrucksvolle Bilanz vorgelegt, deren Höhepunkt die Ausstattung der Kirche mit Fenstern von Markus Lüpertz darstellt. Von Anfang an hat der Förderverein Kirche und Kirchhof als Einheit gedacht und die Bauaufgaben mit dem Anspruch verknüpft, die Kirche zu einem offenen und lebendigen Ort zu machen. Die historischen Grabsteine sind in die Kirchenmauer eingelassen, Bänke laden unter uralten Bäumen zum Verweilen ein. Auf hinzugewonnenen Flächen wurde ein stattliches Bienenhotel eingerichtet. Inzwischen kam ein großer Kräutergarten im Kirchgarten dazu, der das in der Kirche gefundene mittelalterliche Weihekreuz nachbildet. Im Sommer bietet das Areal Platz für Bildhauersymposien und Pleinairs. Ein Heckentheater lädt zum Kammerspiel ein. Es ist ein guter Ort für die Bestatteten und ihre Angehörigen.
Pilger auf dem Lutherweg rasten gern in dem (gast-)freundlichen Ort und seiner Offenen Kirche. Das in Gütz jährlich gefeierte Lutherfest zieht Gäste aus nah und fern an. Selbstverständlich bietet der Kirchgarten dann auch noch Platz für ein Festzelt.
Der Handlungsdruck bei den Betreibern
Der Perspektive der Bewahrer und Ermöglicher muss die Perspektive der Betreiber zur Seite gestellt werden. Und die erzählt von Handlungsdruck.
Die Superintendentin Christiane Kellner berichtete auf der Fachtagung in Naumburg über die Probleme im Kirchenkreis Merseburg mit 160 Kirchen, 30 Pfarrhäusern, 98 Friedhöfen und 30 Friedhofskapellen.
Das Betreiben kirchlicher Friedhöfe droht in naher Zukunft vielerorts an seine personalen und ökonomischen Grenzen zu stoßen. Kirchgemeinden sind seit alters her Träger der Friedhöfe. Das bedeutet, dass ehrenamtlich engagierte Kirchenmitglieder in den Dörfern alle Aufgaben rund um die Betreuung und Pflege des Friedhofes erfüllen. Diese Aufgaben können immer schwerer bewältigt werden, denn die Ehrenamtlichen sind zwischen 70 und 80 Jahre alt. Praktische Hilfen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder 1-EURO-Jobs entfielen zu zwei Dritteln ersatzlos. Viele der ländlichen Kirchgemeinden werden, gemessen an Mitgliederzahl und Finanzkraft, schwächer. Auch Abmeldungen von Kirchgemeinden und die Aufgabe von Kirchen sind in Zukunft nicht ausgeschlossen.
Die Friedhöfe müssen seit jeher in ökonomischer Eigenverantwortung von den Kirchgemeinden betrieben werden. Ein Friedhofshaushalt muss sich selbst tragen, das heißt Kosten decken und Überschüsse erwirtschaften, und er ist innerhalb des Gesamthaushaltes nicht quer finanzierbar. Die Konsequenzen liegen auf der Hand wenn es im Dorf durchschnittlich drei Bestattungen pro Jahr gibt, die Jahresgebühren pro Grabstelle etwa 25 EUR betragen, einer Bestandspflicht von 20 Jahren für Gräber besteht und die Erhaltungskosten stetig steigen. Wie also sollen Kirchgemeinden auf ihren Friedhöfen Kulturerbe und botanische Qualitäten bewahren, auf neue Bestattungsbedürfnisse wie Friedbäume reagieren oder gar einen Umbau bewältigen?
Wenn das Betriebsmodell des ländlichen kirchlichen Friedhofs an Grenzen stößt, dann muss darüber eine Diskussion eröffnet werden. Dazu gehört auch, Gespräche und Verhandlungen mit den Kommunen zu führen, denn Friedhofswesen ist eine kommunale Pflichtaufgabe. Was die Kirche auch in Zukunft einbringen kann sind ihre zentralen Kompetenzen: Verkündigung, Seelsorge und Trauerbegleitung.
Das mögliche Ende des Betriebsmodells kirchlicher Friedhof hat, wie bereits beschrieben, viele Vorboten. Ungenutzte Flächen, unzureichende Pflege und Qualität der Dienstleistung, Überlastung von Mitarbeitern, Beseitigung kostenintensiver Ausstattungen und ein kritisches Betriebsergebnis gehören dazu. Da ein Friedhof mit jeder neuen Bestattung zwanzig weitere Jahre betrieben werden muss, sind neue Regelungen zur schnellen Entwidmung von Flächen geboten. Die Flächen könnten für andere Nutzungen frei gemacht werden.
Und dennoch ringen überall Aktive in den Kirchgemeinden und Friedhofsämtern um gute Lösungen und um die Zukunft ihrer Friedhöfe. In Naumburg wurde großes Interesse formuliert, von anderen zu lernen, Erfahrungen auszutauschen, Wissen weiter zu geben und andere Lösungen zu besichtigen. Als problematisch wurde die Schließung der Beratungsstelle der Landeskirche zu strategischen und konzeptionellen Fragen der Friedhofsentwicklung angesehen.
Mit Interesse wurde das Wirken von Fördervereinen in den Kirchen aufgenommen, die in kulturhistorischen und ökologischen Fragen sowie bezogen auf die Flächennutzung satzungsgerechte Interessen, aber auch eigene Möglichkeiten der Mittelbeschaffung haben. Sie können Projekte realisieren, die über die Möglichkeiten des Wirtschaftsbetriebs Friedhof mit seinen Arbeitswerkzeugen Friedhofssatzung, Gebührenordnung, Bau- und Pflegeplan, Verkehrssicherung u.a. hinausgehen.
Nach dem Willen der Tagungsteilnehmer soll die begonnene Diskussion fortgesetzt sowie geeignete Lösungen für den Transfer von Ideen und Know-how gefunden werden.
„Wenn der Friedhof stirbt …“ – das Dichterwort von Reiner Kunze stand am Anfang der Tagung. Am Ende wissen wir, dass der Friedhof neue Fürsprecher finden kann, die seine Daseinsgründe erkennen, bewahren und befördern.
[1] „Friedhof im Friedhof“ kennzeichnet ein Gestaltungskonzept, das das für Bestattungen weiter genutzte Friedhofsareal abgrenzt und zu einer ruhigen und intimen Zone macht. Der restliche Teil des Friedhofs wird dann zum Raum für Kultur, Begegnung und mehr.