Klein aber fein – Planetarium Kanena
Angelique Schuchardt | Ausgabe 4-2021 | Bürgerschaftliches Engagement | Natur und Umwelt
In Halle versteckt sich viel Astronomie. Nicht nur im Stadtwappen tauchen Mond und Sterne auf, sondern auch in dem kleinen Ortsteil Kanena verläuft entlang einer ehemaligen Schule eine unscheinbare Seitenstraße mit dem vielversprechenden Namen „Zur Sternwarte“. Das ist alles andere als ein Zufall, denn vor nun fast 60 Jahren hat sich ein begeisterter Lehrer angeschickt, in Halle und Umgebung die Astronomie gesellschaftsfähig zu machen.
Begonnen hat sicher alles mit dem Wunsch, den Sternen näher zu sein. Nur wenige Jahre nach dem Start des ersten künstlichen Satelliten – dem Sputnik – hat sich Lehrer Karl Kockel im Jahr 1961 auf seinem Wohnhaus eine Dachsternwarte errichtet. Seither gab es offiziell die „Astronomische Station Johannes Kepler“ in Kanena. Ein kleines Schild an einem Raum im Schulgebäude zeigte mit dieser Aufschrift an, wohin sich Interessierte fortan wenden konnten.
Vielen Menschen ist nicht ganz klar, was eine Sternwarte ist, darum soll es an dieser Stelle kurz erklärt werden: Es handelt sich vor allem um einen Raum, in dem ein Fernrohr fest installiert ist. Durch eine Dachöffnung wird der freie Blick zum Himmel ermöglicht. Selbstverständlich gibt es immer eine der Witterung trotzende Möglichkeit, die Öffnung zu verschließen, um die wertvolle Beobachtungstechnik zu schützen.
Und an eben diesen Ort lud Lehrer Kockel gerne Kinder aus Kanena ein, mit ihm gemeinsam in die Sterne zu schauen. Das Teleskop für die Sternwarte finanzierte er durch eine Schrottsammlung. Es stellte sich aber schnell heraus, dass sein Dach nicht der ideale Standort zur Beobachtung war. Einerseits war es recht beengt und aufsteigende warme Luft über dem Haus und auch der nahe gelegene Schornstein beeinträchtigten die klare Sicht auf die Gestirne. Die Dachsternwarte wurde also bald zurückgebaut und hat nur noch auf alten Fotos ihre Spuren hinterlassen. Stattdessen entstand schon im Jahr 1962 eine runde Sternwarte neben der Schule. Zur Einweihung am 25. August 1962 beherbergte die neue Sternwarte schon ein größeres Teleskop – ein Zeiss Meniscas – das heute wieder seinen angestammten Platz innehat.
Aber ein Karl Kockel gab sich damit nicht zufrieden. Schon im Jahr 1963 wurde, nur wenige Meter von der Sternwarte entfernt, ein Planetarium errichtet und noch im selben Jahr eröffnet. Mit dem damals hochmodernen Sternen-Projektor ZKP1 (Zeiss Klein Planetarium 1) ließen sich über 5.000 Sterne, die Planeten sowie Sonne und Mond für jedes erdenkliche Datum einstellen und an das 8 m große Kuppeldach projizieren.
Und schließlich entstand 1965 auf dem Gelände noch eine weitere Sternwarte auf rechteckigem Grundriss mit einem beidseitig aufschiebbaren Dach. Sicher hätte mancher hier zufrieden sein können, aber nicht Karl Kockel. Auf sein Bestreben hin entstand ab 1976 in Halle ein weiteres Planetarium mit Sternwarte, aber das ist eine andere Geschichte. Wen wundert es da noch, dass obendrein eine Zufahrtsstraße in Kanena den Namen „Zum Planetarium“ trägt.
Man sagt Karl Kockel nach, er wäre in seinem Streben sehr hartnäckig gewesen und wo man ihn höflich zur Tür hinaus geschickt hat, wäre er zur Hintertür wieder hinein gekommen, um seinen Anliegen Nachdruck zu verleihen. Sicher ist, dass es ohne ihn heute kein Planetarium in Kanena (mehr) gäbe.
Rettung und Renaissance
Als Ende der 1990er Jahre dem Planetarium in Kanena der Abriss drohte, tritt Karl Kockel abermals auf den Plan. Er gründet 1998 einen Verein, der den Betrieb und die Pflege der Gebäude übernehmen sollte. Seine Kindergruppe wendet sich 2003 sogar ans Fernsehen und das „LOGO-Mobil“ der ZDF Nachrichtensendung für Kinder besucht daraufhin das Planetarium in Kanena.
Seither blüht die Astronomische Station stetig auf. Der im Planetarium ansässige Verein organisiert Ausflüge zu Sonnenfinsternissen und führt jährlich zahlreiche Veranstaltungen für Astronomie-Begeisterte und alle, die es werden wollen, durch.
Es versammeln sich im Verein Mitglieder aller Altersgruppen und Tätigkeitsfelder mit der gemeinsamen und gleichzeitig vielschichtigen Faszination für Astronomie. Während sich der eine beim Anblick des Sternbildes Schwan für die mythologische Geschichte der alten Griechen begeistert, sinnt ein anderer dabei über die neueste Raumsonde nach, die dort das Universum abtastet. Und wieder einer wird über ein Schwarzes Loch philosophieren, das man in der Region entdeckt hat. Dabei entfaltet sich ein unerschöpflicher Fundus an Gedanken, der in ungezählten Gesprächsstunden Hörern und Rednern ein Glitzern in die Augen zaubert. Und wem die Theorie zu hitzig wird, der besinnt sich am Teleskop auf die pure Schönheit des Nachthimmels und folgt den schillernden Formationen einiger Sternketten.
Wer mit den Mitgliedern des Vereins ins Gespräch kommt, merkt früher oder später, wie der eine oder andere zur Astronomie gelangt ist. Nicht wenige haben in ihren Erzählungen eine Passage, wie Karl Kockel sie durchs Fernrohr hat blicken lassen und wie das ihr Leben und ihre Begeisterung prägte.
Aber auch bei den jährlichen Ausflügen zu Sternenfreunden in anderen Städten zeigt sich immer wieder, wie weit der Einfluss aus Kanena reicht, wenn die befreundeten Vereine die Baupläne ihrer Planetarien aus den Schubladen kramen und in der Ecke die Notiz „Modell Kanena“ zu lesen ist.
Natürlich ist die Zeit nicht spurlos an der Astronomischen Station vorbeigegangen. So musste über Jahre die kleine Rundsternwarte außer Betrieb bleiben, weil die Türen im Dach nicht mehr dicht waren. Ein engagierter Freund des Vereins hat daraufhin 2018 in Eigeninitiative begonnen, die Sternwarte zu sanieren.
Pünktlich zur 55-Jahrfeier präsentierte sich die Astronomische Station dann endlich wieder mit einer funktionstüchtigen Sternwarte und mit dem historischen Teleskop der ersten Stunde in der Öffentlichkeit. So ist es dem ehrenamtlichen Verein immer wieder eine Selbstverständlichkeit, tatkräftig Gebäude und Geräte zu erhalten und zu pflegen. Und die zahlreichen Gäste danken es mit Anerkennung. Inzwischen finden sich unter den Gästen im Planetarium vielfache Wiederholungstäter, und gelegentlich wird die Station als „Geheimtipp“ gelobt, worauf der Verein natürlich außerordentlich stolz ist.
Besonders die Förderung der Nachwuchs-Astronomen liegt dem Verein nach wie vor am Herzen und so haben die Mitglieder des Vereins den immer wiederkehrenden Anfragen von Eltern und Kindern nachgegeben und seit einiger Zeit die AG für Kinder und Jugendliche wiederbelebt.
Kanenas Nachwuchswissenschaftler
Seit dem „Astronaut“ wieder ein Traumberuf ist, wächst Kanenas Jugendgruppe stetig an. Bei den regelmäßigen Treffen im Planetarium zeigen die Jugendlichen den Großen, wie Astronomie richtig geht. So ein junger Forscher will natürlich nicht nur reden sondern auch ausprobieren. Darum vergeht kein Treffen ohne ein Experiment. Auf den Spuren großer Wissenschaftler wandelnd, muss jeder einmal ein Teleskop gebaut und einen Marsrover ferngesteuert haben.
Die mitgebrachten Teleskope der Kinder bieten immer wieder neue Sichten auf das Firmament und ebenso neue Herausforderungen in der Bedienung. Im Planetarium lernen Betreuer und Kinder gleichermaßen voneinander, wenn gemeinsam am Sternenprojektor die Sternbilder aufgesucht und phantasievoll nachgezeichnet werden. Mindestens einmal pro Treffen muss jeder staunen können!
Sowas gefällt nicht nur den „Kleinen“ sondern auch der Reiff-Stiftung für Amateur- und Schulastronomie. In diesem Jahr konnte die Jugendgruppe deren Jury mit ihrer Bewerbung überzeugen und einen der begehrten Gewinnerplätze ergattern. Somit dürfen sich die Nachwuchswissenschaftler seit kurzem „preisgekrönt“ nennen und freuen sich, mit dem Preisgeld weiter experimentieren und forschen zu können.