Natura 2000 – Rückgrat des europäischen Naturschutzes

Erlebbarer Naturschutz in Sachsen-Anhalt

von Sarah Sach | Ausgabe 4-2016 | Natur und Umwelt

Kuhschelle, Foto: Sarah Sach
Salzwiese, Foto: Lutz Döring
Schwarzstorch, Foto: Lutz Döring
Hirschkäfer, männlich, Foto: Lutz Döring
Hartholzauwald, Foto: Lutz Döring
Porphyrkuppen, Foto: Maxi Ruthenberg
Saaletal, Foto: Maxi Ruthenberg
Sand-Silberscharte, Foto: Florian Kommraus

Was ist Natura 2000?

Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich der Zustand verschiedener, natürlicher Lebensräume und einer Vielzahl wildlebender Tier- und Pflanzenarten in Europa bedrohlich verschlechtert. Um die biologische Vielfalt sowie die Lebensräume und Arten, für die Europa aufgrund ihres schwerpunktmäßigen Vorkommens eine besondere Verantwortung trägt, als Teil des europäischen Naturerbes für nachfolgende Generationen zu erhalten und zu entwickeln, hat die Europäische Union das Schutzgebietssystem “Natura 2000” ins Leben gerufen. Die Natura 2000-Gebiete umfassen sowohl Vogelschutzgebiete (SPA) als auch Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (FFH-Gebiete).

Die Grundlagen bilden die Vogelschutzrichtlinie von 1979 und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie von 1992. Das Ziel der Vogelschutzrichtlinie war es, den beobachteten Rückgang der europäischen Vogelbestände aufzuhalten und insbesondere die Zugvögel besser zu schützen. Mit der FFH-Richtlinie sollen vom Verschwinden bedrohte oder ein geringes natürliches Verbreitungsgebiet aufweisende Lebensraumtypen (LRT) sowie aktuell und potentiell gefährdete Tier- und Pflanzenarten geschützt sowie die Vernetzung dieser Lebensräume gesichert werden.


Vor mehr als 20 Jahren wurde das europaweite Schutzgebietssystem „Natura 2000“ ins Leben gerufen. Seitdem entstand ein Netzwerk aus Gebieten, um besonders wertvolle, seltene oder gefährdete Lebensräume sowie Tiere und Pflanzen zu schützen. Durch ganz Europa zieht sich ein Netz aus über 27.000 Schutzgebieten.

Natura 2000 in Sachsen-Anhalt

Über 5.000 Natura 2000-Gebiete gibt es in Deutschland, 298 davon befinden sich in Sachsen-Anhalt und umfassen ca. 11,3 % der Landesfläche. Einige der Natura 2000-Gebiete wurden in erster Linie zum Schutz bestimmter Tiere oder Pflanzen gemeldet. Dazu zählt beispielsweise das FFH-Gebiet „Zisterne Weferlingen“ im Landkreis Börde. Die aufgelassene Wasserzisterne mit einem ca. 15 m langen Stollen wird von mehreren gefährdeten Fledermausarten als Winterquartier genutzt. Andere Gebiete dienen vorwiegend dem Erhalt bestimmter Lebensräume. Im FFH-Gebiet „Salzstelle Wormsdorf“, ebenfalls im Bördekreis, findet man beispielsweise noch die seltenen Salzwiesen, deren Vorkommen vor allem durch Entwässerung und intensive Nutzung bedroht sind.

Das größte Natura 2000-Gebiet Sachsen-Anhalts ist die „Colbitz-Letzlinger-Heide“ nördlich von Magdeburg mit ihren ausgedehnten trockenen Zwergstrauchheiden und bodensauren Eichenwäldern. Zu den kleinsten Natura 2000-Gebieten gehört das FFH-Gebiet „Schafhufe westlich Günthersdorf“ im Saalekreis. Die dort vorkommende Pfeifengraswiese war ausschlaggebend für die Meldung des Gebietes. Ganz typisch für solche Wiesen sind, neben dem Pfeifengras, die Knollen-Kratzdistel und die Kugel-Teufelskralle, benannt nach ihrer markanten Form des Blütenstandes.

Alle Natura 2000-Gebiete mit ihren Besonderheiten und den dort vorkommenden Lebensräumen sowie Tier- und Pflanzenarten werden auf der Internetseite www.natura2000-lsa.de umfangreich vorgestellt. Zu allen in Sachsen-Anhalt auftretenden und über die beiden Natura 2000-Richtlinien geschützten Tieren, Pflanzen und Lebensräumen finden sich Steckbriefe auf der Webseite.

Bisher sind in Sachsen-Anhalt 51 Lebensraumtypen von europäischer Bedeutung bekannt. Darunter befinden sich bekannte und weitverbreitete Lebensräume wie die Frischwiesen, aber auch viele seltene, unbekannte und an extreme Standortbedingungen angewiesene Lebensräume wie die Schwermetallrasen auf meist älteren Abraumhalden des Bergbaus oder die Steppen-Trockenrasen, die an warme, trockene Sommer und kalte, ebenfalls vergleichsweise trockene Winter gebunden sind.
Die Landschaften in Sachsen-Anhalt prägen unter anderem Auenwälder und Feuchte Hochstaudenfluren in den Flussauen sowie Berg-Mähwiesen in den höheren Lagen des Harzes. Für die Erhaltung der Hartholzauenwälder besitzt Sachsen-Anhalt eine besondere Verantwortung, da sich 44 % der gesamtdeutschen Vorkommen dieses Lebensraumes in Sachsen-Anhalt befinden. Ein Ausflug in diese beispielsweise in der Flussaue der Elbe, der Saale und der Mulde gelegenen Lebensräume lohnt sich besonders im Frühjahr, wenn die atemberaubende Blütenpracht der Frühjahrsblüher den Boden überzieht.

Ein besonderer Bewohner uriger Wälder, zu denen auch die Hartholzauwälder zählen können, ist der seltene Schwarzstorch. Während der Weißstorch vielen Menschen bekannt ist, haben nur wenige bisher vom Schwarzstorch gehört, geschweige denn, ihn zu Gesicht bekommen. Der geheimnisvolle Vogel ist bei der Nahrungssuche sehr stark auf Gewässer angewiesen, in denen er beim Durchwaten Fische, Molche oder Frösche fängt.

Neben dem Schwarzstorch werden über die Vogelschutzrichtlinie weitere 72 in Sachsen-Anhalt vorkommende Vogelarten geschützt, darunter auch der Weißstorch, der Mittelspecht und der Eisvogel. Ergänzt werden diese durch die 165 Tier- und Pflanzenarten von europäischer Bedeutung, die im Bundesland bekannt sind. Zu diesen geschützten Arten zählen unter anderem das Große Mausohr, der Fischotter, der Hirschkäfer sowie der Frauenschuh und die Sand-Silberscharte.

Natura 2000-Gebiete und Naturerleben

In allen Regionen Sachsen-Anhalts gibt es Natur zu entdecken, zu bestaunen und zu erleben. Der Drömling, am südlichen Rand der Altmark gelegen, wird wegen der 1.725 km Wasserläufe im Gebiet auch das „Land der tausend Gräben“ genannt. Zahlreiche Vögel nutzen den Drömling als Brut- sowie als Rastgebiet und auch der Biber und der Fischotter finden dort einen geeigneten Lebensraum.

Von der Schönheit und der Besonderheit der sachsen-anhaltischen Natura 2000-Gebiete kann man sich am besten auf einer Wanderung überzeugen. Dafür bietet sich auch das Saaletal zwischen Halle und Wettin an. Dort findet sich die nahezu waldfreie, aber reich strukturierte Landschaft der Porphyrkuppen mit einem eng verzahnten Wechsel von offenen Felsstandorten über Trockenrasen bis hin zu Kleingewässern. Diese enorme Strukturvielfalt bietet einer Vielzahl auch überregional gefährdeter Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Teile der Landschaft wurden aus diesem Grund als europäisches Schutzgebiet „Porphyrkuppenlandschaft nordwestlich Halle” gemeldet.

Auf einer Wanderung durch das FFH-Gebiet kann man die seltenen und geschützten Lebensräume bewundern. Zu diesen Lebensräumen gehören auch die Felsbereiche, die sogenannten Silikatfelskuppen. Je nach Jahreszeit säumen Kuhschellen, Graslilien oder Thymian den Wanderweg. Diese und fünf weitere Wanderrouten werden mit Wanderkarte auf der Internetseite www.natura2000-lsa.de vorgestellt. Die Wanderkarte und ein Flyer mit interessanten Informationen zum jeweiligen Schutzgebiet können heruntergeladen werden.

Umsetzung von Natura 2000

Die Natura 2000-Gebiete in Sachsen-Anhalt wurden in den letzten Jahren an die Europäische Union gemeldet und bestätigt. Im Anschluss müssen die Schutzgebiete in nationales Recht überführt werden. Das Land Sachsen-Anhalt sichert die Natura 2000-Gebiete mittels einer landesweiten Verordnung. Das öffentliche Ausweisungsverfahren für die nationalrechtliche Sicherung beginnt im Jahr 2017. Bestandteil des Verfahrens ist die öffentliche Auslegung des Verordnungsentwurfes und der Karten zur Abgrenzung der Schutzgebiete. Eigentümer und Bürger erhalten die Möglichkeit, Hinweise und Bedenken zum Verordnungsentwurf und zur Abgrenzung der Gebiete zu äußern. Um eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit gewährleisten zu können, wurde bereits Ende 2014 mit der Vorabbeteiligung verschiedener Nutzergruppen bzw. Interessenverbände (u. a. Landesbauernverbund, Waldbesitzerverband, Landesjagdverband, Unterhaltungsverbände) und der Bekanntmachung des Ausweisungsverfahrens über verschiedene Medien begonnen.
Das Verfahren soll bis Ende 2018 abgeschlossen werden.


Mehr Informationen zu Natura 2000 in Sachsen-Anhalt unter www.natura2000-lsa.de und www.facebook.com/natura2000lsa.