VEB Burger Bekleidungswerke: Wie die Textilindustrie die sachsen-anhaltische Stadt Burg prägte

Im Mittelalter waren es Tuche, zu Zeiten der DDR waren Uniformen: die Geschichte der Stadt Burg und der Textilindustrie waren seit jeher miteinander verwoben. Heutzutage ist dieses lange Kapitel allerdings fast in Vergessenheit geraten.

Antonia Beran | Ausgabe 1-2023 | Volkskunde

Teddy-Parade, für die Leipziger Messe präsentieren sechs große Teddybären verschiedene Uniformen der Truppenteile der NVA. Foto: Kreisarchiv Burg.
Mitarbeiterin beim Zuschnitt. Foto: Kreisarchiv Burg.
Uniformjacke für einen Oberstleutnant der Landstreitkräfte. Foto: Kreismuseum Jerichower Land.
Felddienstuniformjacke Strichtarn. Foto: Kreismuseum Jerichower Land.

Die Textilindustrie hatte in der Stadt Burg eine lange Tradition. Schon im Mittelalter wurden Burger Tuchwaren geschätzt. Die Handelsbeziehungen reichten über Magdeburg bis nach Norddeutschland, Belgien und in die Niederlande. Im 18. und 19. Jahrhundert war es besonders die Nachfrage nach Uniformstoffen, die zum Wachsen und Gedeihen der Stadt beitrug. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der VEB Burger Bekleidungswerke Leitbetrieb für Dienstkleidung und führender Uniformhersteller der DDR. Heute erinnert nur noch wenig an dieses Kapitel der Industriegeschichte.

Ursprünglich hervorgegangen war das Burger Bekleidungswerk aus der Kleiderfabrik der Rudolf Karstadt AG Berlin. Diese erwarb 1930 das markante Backsteingebäude an der Bahnhofstraße, eine 1887 gegründete ehemalige Schuhfabrik. Bis Anfang 1945 wurden hier Berufs- und Waschkleidung, Hosen, Leinenjacken und Lodenjoppen, unter anderem für den Arbeitsdienst, hergestellt, die in den etwa 80 Warenhäusern der Karstadt AG vertrieben wurden. Bereits kurz nach Kriegsende fertigten die 565 Beschäftigten im Rahmen des Reparationsplans Uniformen für den Bedarf der Roten Armee. Allein im Dezember 1945 waren es 1.750 „Russenmäntel“, 2.300 Soldatenblusen und 3.755 Soldatenhosen. Im September 1946 wurde Karstadt enteignet und der Betrieb in Volkseigentum überführt. 1948 erhielt er die Bezeichnung „VEB Burger Bekleidungswerk“. Neben Berufsbekleidung und Uniformen bot er auch wieder Herren- und Knabenkonfektion an, die zur  Leipziger Messe am Stand der VVB (Vereinigung Volkseigener Betriebe) Konfektion beworben wurden.

 

NVA-Uniformen aus “Einstrich-Keinstrich”-Tarn wurde in Burg hergestellt

Als im Januar 1956 die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR gegründet wurde, mussten nicht nur Bewaffnung und Ausrüstung angeschafft werden, sondern auch die Bekleidung der künftigen Soldaten. Die Vorbereitung für neue Uniformen lief bereits seit Monaten. Das Verteidigungsministerium beauftragte dazu den VEB Burger Bekleidungswerk, der bereits Erfahrungen mit der Uniformherstellung besaß. Die Entwürfe, die sich an den letzten deutschen Uniformen orientierten, wurden in der Musterabteilung entwickelt und vom Ministerium für Nationale Verteidigung genehmigt. Mit dem neuen Schwerpunkt zur Ausstattung der NVA wurde die Herstellung ziviler Konfektionsbekleidung eingestellt und auf Dienstbekleidung für staatliche Einrichtungen der DDR umgestellt. In Burg und weiteren Betriebsteilen in Gommern, Wusterwitz, Brandenburg und Magdeburg wurden im Zweischichtsystem hauptsächlich Uniformen für Mannschaften und Offiziere der NVA, für das Ministerium für Staatssicherheit, des Innern, die Zollverwaltung, für die Forstverwaltung und die Feuerwehr produziert. Ausgeh- und Dienstmützen wurden in Magdeburg gefertigt. Verarbeitet wurden nicht nur Uniformtuche (Streichgarn, Gabardine, Kammgarn, Mischgewebe u. a.) zumeist aus dem VEB Textilkombinat Cottbus, sondern auch Drillich (Baumwolle und Baumwollmischgewebe), darunter der für die Felddienstuniform der NVA bezeichnete Strichtarnstoff, auch „Einstrich-Keinstrich“ genannt.

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Mit der Zusammenlegung von VEB Burger Bekleidungswerke, VEB Hallesche Kleiderwerke und dem Werk Zerbst entstand in den 1970ern ein Großbetrieb mit 14 Betriebsstätten in den Bezirken Magdeburg und Halle sowie zwei technischen Zentren mit Forschungsabteilungen in Leipzig und Halle und einer Betriebsakademie in Halle. Für die Ausstattung höherer Offiziere arbeitete eine Maßschneiderei. Von anfänglich 500 wuchs die Zahl der Beschäftigten bis 1989 auf mehr als 2.400. Der Anteil an Frauen betrug etwa 85 Prozent. Hauptsächlich arbeiteten sie als Näherinnen, aber auch als Abteilungsleiterinnen oder als Betriebsstättenleiterinnen. Ab Mitte der 1980er-Jahre zogen Automatisierungstechnik und die ersten Computer für den Zuschnitt ein. Investiert wurde auch in die Modernisierung der Produktionsgebäude. 1981 wurde in der Burger Bahnhofstraße 7 das neue Produktionsgebäude errichtet und 1982 der Sozialtrakt mit Betriebsgaststätte, Café und Verkaufsstelle fertiggestellt.

Manchmal gab es aber auch ernste Probleme. So z. B. als Anfang der 1980er-Jahre die Forschungsabteilung des VEB Volltuchwerke Crimmitschau neue Stoffe mit verbessertem Hitzeschutz entwickelte. Das Gewebe wurde dadurch aber rauer und steifer. Die Frauen an den Nähmaschinen schwitzten, die Verarbeitung dauerte etwas länger und die Erfüllung der Normzahlen war in Gefahr. Die Planvorgaben des Verteidigungsministeriums nach unten zu korrigieren, kam einem Staatsverbrechen gleich und die Betriebsleitung musste sich im Ministerium für Nationale Verteidigung, vor dem Beschaffungsamt in Straußberg, verantworten.

Doch als Anerkennung für hervorragende Leistungen erhielt der Betrieb auch regelmäßig Auszeichnungen durch die Auftraggeber, wie die Verdienstmedaille der NVA in Gold oder die Medaille zur langjährigen Pflichterfüllung zur Stärkung der Landesverteidigung der DDR.

Mit der politischen Wende und dem Beitritt zur Bundesrepublik fielen jedoch 1990 plötzlich die staatlichen Auftraggeber weg. Die Hoffnung, Uniformen werden immer gebraucht, keimte nur kurz auf, als man 1992 einen Auftrag für die neuen Uniformen der Polizei von Sachsen-Anhalt erhielt. Es folgten die Stilllegung und die Schließung fast aller Betriebsstätten. Die Spezialisierung auf Dienstbekleidung war eine Sackgasse. Hunderte von Frauen verloren Arbeit und Verdienst. Ein Sanierungskonzept mit der Umstellung auf zivile Knaben- und Herrenhosen aus Baumwolle, die schon seit 1983 im Rahmen der Konsumgüterproduktion und für den Export lief, wurde von der Treuhand abgewiesen und alle Liegenschaften 1992 zum Verkauf angeboten. Mit nur noch 40 Näherinnen wurde der Betrieb 1993 von der Treuhand an die Gesellschafter Manfred Koch und Hans-Dieter Alt aus Fulda verkauft, mit der Verpflichtung, 60 Arbeitsplätze zu halten. Die spätere Verlagerung der Produktion nach Bulgarien, um Lohnkosten einzusparen, führte zu teuren Nacharbeiten. Hohe Verluste beendeten 1999 die Uniformproduktion in Burg endgültig. Die Textilindustrie der ehemaligen DDR blieb im allgemeinen Globalisierungsprozess auf der Strecke. Doch die Uniformen der Burger Bekleidungswerke sind nicht völlig verschwunden. Nicht alle Kammerbestände der NVA wurden von der Bundeswehr übernommen und vernichtet. Einschlägige Internetplattformen bieten noch heute Erzeugnisse aus der ehemaligen Burger Produktion an. Insbesondere der Felddienstanzug „Einstrich-Keinstrich“ wurde vielfach nachgenutzt, z.B. im Freizeitbereich, aber auch in verschiedenen Konfliktregionen der Welt.

 

Anmerkung

* Der Beitrag beruht auf der Dokumentation und Ausstellung über die Geschichte der Burger Bekleidungswerke 1945 bis 1999, die im Jahr 2005 von einer Arbeitsgruppe ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werkes unter Leitung von Erika Tolksdorf und dem Heimatverein Burg und Umgebung e.V. erarbeitet wurde und die sich heute im Stadt- und Kreisarchiv Burg befindet. Ich danke außerdem Karin Zimmer und Bernhard Weggen für ergänzende Hinweise.

** Die Ausstellung „Von der Dederonschürze zu Blue Jeans“ ist bis 31. Oktober im Freilichtmuseum Diesdorf ausgestellt.