Von Bergen und Felsen, Mythen und Sagen

Der Harz in aktuellen Publikationen

von John Palatini | Ausgabe 2-2016 | Rezensionen

„Perspectivische Vorstellung des berühmten Blocken oder Blokenbergs“, Ausschnitt aus einem kolorierten Kupferstich von 1749 nach einer  Zeichnung von L. S. Bestehorn (die Hexenfiguren sind eine Zutat des Kupferstechers)

Bücher, die den Harz zum Thema haben, sind keine Seltenheit, sie erscheinen beständig und zahlreich. Viele Reiseführer sind darunter, aber auch Bildbände, Krimis sowie regionalhistorische und landeskundliche Darstellungen. Im Folgenden sollen fünf Werke neueren Datums als Vertreter der genannten Genres vorgestellt werden.


Uwe Lagatz unter Mitarbeit von Claudia Grahmann
Der Brocken. Die Entdeckung und Eroberung eines Berges.
Wernigerode: Jüttners Verlagsbuchhandlung 2014 (160 Seiten | 24,50 €)1

Am 10. Januar 1540 gestand die angebliche Hexe Grete Wroystes in einem Verhör ihre Beteiligung an geheimen nächtlichen Zusammenkünften auf dem Brocken, den sie in Begleitung noch anderer Frauen fliegend erreicht habe. Für die „Hexenkarriere“ des höchsten norddeutschen Berges ist dies einer der ältesten Belege, den der Historiker Uwe Lagatz in seinem Buch „Der Brocken. Die Entdeckung und Eroberung eines Berges“ präsentiert. Im 17. Jahrhundert hatte die Vorstellung vom Hexentreiben auf dem Brocken schließlich Eingang in zahlreiche Bücher gefunden, das prominenteste veröffentlichte 1668 Johannes Praetorius, der Titel seines Werkes: Blockes-Berges Verrichtung.

Der Brocken wurde, wie dieses Beispiel zeigt, nicht immer Brocken genannt. Auch darauf geht Uwe Lagatz in einem Kapitel ausführlich ein. In erster Linie zeigt er jedoch die verschiedenen Perspektiven auf den Berg: War der Brocken auf der einen Seite Projektionsfläche des magischen Denkens, so geriet er im 15. Jahrhundert auch in den Fokus der Naturforscher, deren Werke dazu beitrugen, dass vom Brocken ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zwei entgegensetzte Vorstellungen existierten: eine magische und eine naturwissenschaftliche. Eine dritte Perspektive kam hinzu, denn auch handfeste wirtschaftliche Interessen richteten sich beständig auf den Berg und veränderten ihn zu einer Kulturlandschaft, wobei sich ab dem 18. Jahrhundert ein Wirtschaftszweig rasant entwickelte, der das Geschehen auf dem Brocken auch gegenwärtig prägt: der Tourismus.

Die Eroberung, von der im Titel des Buches die Rede ist, vollzieht sich hier: durch ein erstes Gasthaus auf der Heinrichshöhe, durch immer besser ausgebaute Wege, schließlich durch die Eröffnung des Brockenhotels. In der Folge kamen die Touristen in immer größerer Zahl, um erst zu Fuß oder in der Kutsche und ab 1899 auch per Schmalspurbahn den Gipfel zu stürmen, – zum Nachteil der Natur, nicht aber zum Nachteil der Hexen. Denn war der Brocken als Blocksberg zunächst Bestandteil des Volksglaubens, wurde er, während aufgeklärte Autoren noch im 19. Jahrhundert einen Kampf gegen die Reste dieser Hexen- und Teufelsvorstellungen führten (die freilich gerade in der Hochliteratur zu allergrößter Bekanntheit gelangten), durch die Inkorporation des Magischen in das Touristische ein zweites Mal verzaubert, zuerst durch findige Brockenwirte und heute durch die Tourismus- und Unter-haltungsindustrie – man denke nur an die allgegenwärtige Brockenhexe.

Uwe Lagatz hat 2014 ein nach wie vor konkurrenzloses historisches Sachbuch über die Entdeckung und Eroberung des Brockens vorgelegt und damit einen gewichtigen Beitrag zur Tourismusgeschichte des Harzes geleistet. Dabei ist das reich bebilderte Buch zugleich eine Geschichte der wissenschaftlichen und künstlerischen Wahrnehmung und der verschiedenen Inszenierungen dieses Berges etwa durch Werbematerialien, Andenken, Reiseführer, Ansichtskarten und vieles mehr. Deshalb und auch auf Grund des schönen Formats und der vielen exzellenten Reproduktionen ist diesem sehr informativen Buch ein weiterhin großer Leserkreis unbedingt zu wünschen.


Ute Fuhrmann, Rainer Vogt
Rosstrappe, Teufelsmauer und der Stein der Weisen. Auf den Spuren der ältesten Sagen rings um Thale.
5 Rundwanderungen.
Halle: mdv 2016 (118 Seiten | 9,95 €)

„Das Riesenpferd und der Höllenhund“, „Der Stein der Weisen im Kloster“ – wer hier zuerst an die in Aussicht stehenden neuen Harry-Potter-Romane denkt, der irrt. Tatsächlich handelt es sich um zwei der fünf stimmungsvollen Titel der Rundwanderungen rings um Thale, die Ute Fuhrmann und Rainer Vogt im sechsten Band der Reihe „Wanderführer für Mitteldeutschland“ vorstellen.

Der Untertitel verspricht Wanderungen auf den Spuren der ältesten Sagen. Hierfür werden im ersten Teil des Buches die Routen zunächst mit Hilfe je einer Karte, knappen Streckeninformationen, zusammenfassenden und ausführlichen Beschreibungen dargestellt. Die ausgewählten Rundwege richten sich mit einem maximalen Höhenunterschied von 250 Metern und einer Länge zwischen sechs und acht Kilometern in erster Linie an Gelegenheitswanderer und Spaziergänger. Nur der fünfte Routenvorschlag fällt aus dem Rahmen, da es sich um eine Erkundung des Klosterbezirks von Thale und nicht um eine Wanderung im engeren Sinne handelt. Dies sei hier allerdings keinesfalls kritisch vermerkt, denn die Routen decken das ausgewählte Gebiet gerade in dieser Zusammenstellung gut ab.

Der zweite, nicht minder umfangreiche Teil des Büchleins beschäftigt sich eingehend mit den auf die zu erwandernden Orte bezogenen Sagen, die hierfür keineswegs nur nacherzählt werden. Vielmehr handelt es sich um unterhaltsame und teils mit angenehm ironischer Distanz dargebotene Analysen zu den Ursprüngen und Varianten der einzelnen Sagen. Ferner bieten die Autoren viel Wissenswertes zur Entstehung und Gegenwart der mit den Sagen verbundenen Traditionen, die sich insbesondere seit dem 19. Jahrhundert im Harz etabliert haben. Damit gelingt ihnen zweierlei: Auf der einen Seite bedienen sie die Vermarktungsstrategie der Harzregion, indem sie die enge Kopplung von Landschaft und Sagen zum Thema ihrer Wanderungen machen, zum anderen unterlaufen sie dieses Konzept, indem sie es, wie zuvor auch Uwe Lagatz, konsequent geschichtlich einordnen.

Diese Mischung aus Wanderführer und Geschichtsbuch überzeugt. Dies liegt auch daran, dass das Werk insgesamt zu gefallen vermag: Die Gestaltung ist ansprechend, die Bildmotive sind gut gewählt und tadellos umgesetzt und die Lektüre der kurzweiligen Texte geht leicht von der Hand.


Ingo Panse, Bernd Sternal
Mystischer Harz. Verzaubert und geheimnisvoll.
Halle: mdv 2015 (93 Seiten | 16,95 €)

Die Selke fließt friedlich als kleiner Bach am rechten Bildrand. Links ragen bemooste Felsen auf, umlagert von gewaltigen Wurzeln, und im Hintergrund dräut dunkel die Nacht, durchschimmert von einigen Bäumen in silbrigem Blau. Im Zentrum aber leuchtet ein magisches Rot aus jenem Felsdurchbruch hervor, den Wanderer seit Generationen durchschreiten auf ihrem Weg zum Gipfel. Schnell ist beim Betrachten dieser Fotografie vergessen, dass der Weg dahinter nach oben führt, sich der Blick nach einigen Metern in die Weite der Landschaft befreit. Hier jedoch scheint es nur noch ein Hinab zu geben, der Durchgang ist zu einem Eingang geworden, ein magisches Tor in eine unbekannte Welt.

Dieses Bild des leuchtenden Felsdurchbruchs ist der Einstieg in den Bild-Text-Band „Mystischer Harz. Verzaubert und geheimnisvoll“, der 2015 erschienen ist. Das Buch, heißt es in der Einleitung, lade dazu ein, „den Harz einmal anders zu sehen als gewohnt“. Ziel des Fotografen Ingo Panse sei es gewesen, „das Mystische des Harzes im wahrsten Sinne des Wortes ans Licht zu holen.“ Mystisch bedeutet dunkel, geheimnisvoll, rätselhaft und unergründlich, Attribute, die sich den Bildern Panses zuordnen lassen, sind diese doch alle bei Nacht entstanden. Die Methode seiner Fotografie nennt er „Lightpainting“, das Malen mit Licht. Zu sehen sind vor allem die bekannten Felsen und, eingerahmt von bedrohlich wuchernder Natur, verwitterte Bergfriede, Mauerreste und alte Gänge, aus denen Panse sein Licht quellen lässt.

Das Vorwort lobt die „Fotografien von außergewöhnlichem Charme“ – ein hoher Anspruch, dem die Bilder nicht immer gerecht werden. Manche Lichtarrangements wiederholen sich mehrfach und häufig wirkt die Farbgestaltung aus Blau und Rot zu vordergründig, zu wenig subtil.

Ingo Panse hat das etablierte Narrativ vom sagenumwobenen, geheimnisvollen Harz ernst genommen und dazu eine eigenwillige Bildwelt erschaffen. Dazu passend räumt Bernd Sternal in seinen Texten den Sagen als Erklärungsansatz für all die wollsackverwitterten Felsen und verlassenen Burgen den größten Raum ein.


Liliane Skalecki, Biggi Rist
Rabenfraß. Kriminalroman.
Meßkirch: Gmeiner-Verlag 2016 (406 Seiten | 12,99 €).

Kurz vor der schon gebuchten Traumreise ein letzter großer Streit, schon ist Kriminalhauptkommissar Heiner Hölzle, ein Schwabe, der in Bremen lebt, alleinstehend. Was ihm bleibt, ist der einmal genehmigte Urlaub, den er nun, der Ruhe bedürftig, im Harz verbringt. Der Leser erfährt gleich im Prolog und dann in weiteren zwischengeschalteten Kapiteln von zurückliegenden Morden, einer grausiger als der andere, alle offenkundig verübt an Personen, die es aus Sicht des Täters verdient hatten zu sterben. Der jüngste Mordanschlag hatte einer Frau aus Hölzles Ferienort gegolten, und des Zufalls nicht genug, liegt das Ereignis erst wenige Tage zurück. Als Kommissar auf Reisen beachtet Hölzle diesen Mord allerdings zunächst nur am Rande. Stattdessen zeigt er sich als ehrgeiziger Tourist, der Wanderwege abschreitet, Harzstädtchen besichtigt und die vermeintlich einheimische Küche probiert. So geht es über viele, viele Seiten und würde dies alles nicht ab und an von einem Mord unterbrochen, man müsste glauben, es handele sich um einen Reisebericht. Und vieles klingt denn auch wie aus dem Reiseführer abgeschrieben, den Hölzle ständig konsultiert. Unter der Prämisse, dass der Kommissar hier als Tourist vorgestellt werden soll, mag das freilich durchaus konsequent erscheinen, nur sonderlich aufregend liest es sich nicht.

Der Lösung des Falls kommt Hölzle näher, weil er beim Stöbern in einer Buchhandlung auf ein Werk stößt – das Tagebuch eines Scharfrichters – in dem er allmählich jenes Skript zu erkennen glaubt, nach dem der Serienmörder seit vielen Jahren vorgeht. Wer sich von solch unmotivierten Zufällen und den zahlreichen Klischees – der ermordete Pädophile war ein Pfarrer, der Pyromane Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – nicht abschrecken lässt, wird die Handlung im zweiten Teil des Krimis hinlänglich spannend finden.

Dass Hölzle hier erlebt, was die Autorinnen zuvor selbst an einem Wochenende erwandert und erkundet sowie später erlesen haben, liegt nahe, und wird von ihnen auch bestätigt.2 So verwundert es nicht, dass es die touristischen Haupt- und selten die Nebenpfade sind, auf denen Hölzle sich bewegt und die hier den Harz konstituieren: gewandert wird an der Teufelsmauer, gefährlich wird es für Hölzle am Ottofelsen. Ließe man die Kompilation möglichst vieler durch die Fremdenverkehrsindustrie kanonisierter Orte und Vorstellungen als Qualitätskriterium für einen Regionalkrimi durchgehen, den Autorinnen wäre ein großer Wurf gelungen. Und nicht weniger hatten sie im Sinn: „[E]ine Hommage an den Harz mit all seinen Stimmungen und Mythen“, haben sie schreiben wollen, so Skalecki und Rist.3 Entstanden ist die Vermengung des touristisch Naheliegenden mit einer nur bedingt originellen Story – keine Hommage.


Der Hochharz. Vom Brocken bis in das nördliche Vorland.
Eine landeskundliche Bestandsaufnahme im Raum Bad Harzburg, Wernigerode, St. Andreasberg und Elbingerode.
Hrsg. v. Jörg Brückner, Dietrich Denecke, Haik Thomas Porada und Uwe Wegener.
Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2016 (420 Seiten | 29,99 €)

Im Böhlau Verlag ist das Werk „Der Hochharz – Vom Brocken bis in das nördliche Vorland“ als 73. Band der Buchreihe „Landschaften in Deutschland / Werte der deutschen Heimat“ erschienen. Die 44 Autoren porträtieren den Kernraum des nördlichsten Mittelgebirges Deutschlands, in dessen Zentrum der Brocken liegt. Das Buch gliedert sich in drei Teile: einen landeskundlichen, verschiedene Disziplinen berücksichtigenden Überblick, die Darstellung von 65 exemplarischen Standorten, auf die über ein Verzeichnis sowie eine Faltkarte zugegriffen werden kann, sowie einen umfangreichen Anhang.

Der landeskundliche Überblick bietet Informationen zu Naturraum und Landschaft, naturräumlichen Elementen (Klima, Tektonik, Bodenschätze, Böden und Gewässer), zur Pflanzen- und Tierwelt sowie zu den verschiedenen Schutzgebieten. Der Abschnitt zum Kulturraum versammelt Darstellungen zur territorialen Entwicklung vom Beginn der Völkerwanderungszeit, zur Besiedlungsgeschichte, zum Siedlungsbild, zur Siedlungsentwicklung sowie zur Landnutzung und zur Wirtschaftsweise. Es folgen Ausführungen zu den Verkehrswegen, zur Bevölkerung, zur Sprache, zu den Mundarten, den Gewässer-, Orts- und Flurnamen. Kapitel zur Volkskunde und zu den wichtigsten Museen, Archiven, Bibliotheken und Vereinigungen beenden den ersten Teil des Buches.

Die Einzeldarstellungen schließen an diesen Überblick an. Die eingeführten Kategorien spiegeln sich in der Auswahl der Suchpunkte. Neben Städten und Dörfern wurden naturräumliche Elemente wie Flüsse, Moore sowie markante Felsen berücksichtigt, ferner einige Verkehrswege und Bauwerke wie die Susenburg oder die Harzquer- und Brockenbahn.

Ergänzt werden die Kapitel durch Karten und Diagramme sowie zahlreiche Fotografien. Entstanden ist ein außerordentlich informatives, komplex angelegtes Kompendium, das dank seines Facettenreichtums und seiner fachlichen Fundierung für verschiedene Leserkreise von Interesse ist. Angemerkt sei gleichwohl, dass einzelne Kapitel ohne die Kenntnis der jeweils einschlägigen Fachtermini auch manche Verständnishürde bereithalten. Das Werk empfiehlt sich auf Grund seiner klaren Struktur, Übersichtlichkeit und guten Benutzbarkeit. Es stellt einen starken Kontrapunkt zu jenen Publikationen dar, die den Harz im Fahr-wasser seiner touristischen Vermarktung eindimensional als Summe geheimnisvoller Orte, Sagen und Mythen entwerfen. Empfohlen sei das Buch deshalb allen, die sich diese Kultur- und
Naturlandschaft mit Hilfe einer vielschichtigen und anspruchsvollen Darstellung erschließen möchten.


  1. Das Buch wurde bereits besprochen, sei hier im Kontext anderer Publikationen jedoch noch einmal berücksichtigt, vgl. Jens Giersdorf, Schon wieder ein Buch über den Brocken?, in: Sachsen-Anhalt 24 (2014), H.4, 33.
  2. „Wir haben vor dem Schreiben ein Wochenende im Harz verbracht. Sind gewandert, haben Stadttouren unternommen und uns mit Broschüren eingedeckt.“ Sandra Reulecke, Mörderisches Duo lässt Harz bluten, Volksstimme am 04. 05. 2016, URL: http://www.volksstimme.de/lokal/halberstadt/20160504/regionalkrimi-moerderisches-duo-laesst-harz-bluten (12. 05. 2016).
  3. Kristin Hermann, Auf Hölzles Spuren, Weser-Kurier am 10.02.2016, URL: http://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-kultur-freizeit_artikel,-Auf-Hoelzles-Spuren-_arid,1309943.html (12. 05. 2016).