Zum 325. Geburtstag der Friederike Caroline Neuber
Evelin Wittich | Ausgabe 3-2022 | Geschichte
Nach mehr als 300 Jahren findet die Neuberin vor allem an den Orten ihres Wirkens hauptsächlich in Sachsen und Sachsen-Anhalt eine bisher kaum gekannte Aufmerksamkeit. Dazu gehören selbstverständlich das Neuberin-Museum und die Neuberin-Gesellschaft in Reichenbach im Vogtland mit Veranstaltungen und Publikationen.[1] Die Frauenorte Sachsen-Anhalt bestimmten Weißenfels als einen Frauenort der Neuberin, da hier nachgewiesenermaßen einer ihrer ersten Spielorte war. Anke Triller von Frauenorte erarbeitete einen sehr informativen Podcast zur Neuberin mit verschiedenen Akteurinnen.
In besonderer Weise beschäftigte der Verein zur Förderung der Friederike-Caroline-Neuber-Stiftung inclusive der Neuberin-Stiftung Blankenburg/Harz und das Große Schloss Blankenburg der 325. Geburtstag der Neuberin. Die vor fünf Jahren gegründete Neuberin-Stiftung und der Förderverein haben seither konsequent an ihrem Ziel gearbeitet, das Wirken der Neuberin in der Stadt und dem Großen Schloss Blankenburg zu erforschen und bekannt zu machen. Denn in bisherigen biographischen Arbeiten zur Neuberin wurde die Bedeutung Blankenburgs für ihre Entwicklung nur kurz oder gar nicht erwähnt.
Gero Hammer schrieb die szenische Lesung „Die Komödiantin zwischen Fürstengunst und akademischem Kunstanspruch – eine Hommage an die Theaterreformerin Friederike Caroline Neuberin“, die mehrfach im Großen Schloß mit Schauspielerinnen und Schauspielern (Gunter Schoß, Eva Weißenborn) und Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums am Thie aufgeführt wurde. Blankenburg als wesentlicher Ausgangsort der Karriere der Neuberin wird schon in dieser Darstellung deutlich. Nahezu zeitgleich im Jahr 2014 hatte Hilde Thoms eine Ausstellung über die Neuberin im Großen Schloss konzipiert und gemeinsam mit Kerstin Gutsche erarbeitet. Die Forschungsarbeit über die Neuberin in Blankenburg wurde mit der Gründung der Stiftung mit Hilde Thoms als Stifterin und des Fördervereins als Treuhänder der Stiftung intensiver.
Hilde Thoms legte 2019 ihre Arbeit über die Neuberin in Blankenburg als Broschüre mit dem Titel „Wo unsere Schauspielkunst zur Welt kam“ vor.[2] Höhepunkte der Arbeit waren die Ernennung einer Friederike-Caroline-Neuber-Straße in Blankenburg 2021 und die Aufführung des Theaterstückes „Friederike-Caroline Neuber – ein Bühnenporträt der großen Theaterfrau“ des Theatrum Hohenerxleben im Großen Schloss Blankenburg am 22. 5. 2022.
Die Neuberin wurde als Friederica Carolina Weißenborn am 8. 3. 1697 in Reichenbach im Vogtland als Tochter des Gerichtsinspektors Daniel Weißenborn und Anna Rosina Weißenborn geborene Wilhelm geboren. Es war die Zeit nach den Religionskriegen des 30-jährigen Krieges, eine Zeit, in der Absolutismus und Feudalismus zunehmend in Frage gestellt wurden – die sogenannte Frühaufklärung breitete sich vor allem im nicht-öffentlichen Raum aus, im akademischen Milieu in privaten Gesprächskreisen, Briefen und flugblattartigen Papieren. Die anachronistischen gesellschaftlichen Verhältnisse der Feudalgesellschaft bröckelten. Friederike Caroline erhielt vor allem durch ihre Mutter eine gutbürgerliche Bildung und Erziehung, die trotz des frühen Todes der Mutter nicht ohne Wirkung blieben. Die Familie lebte inzwischen in Zwickau.
In ihrer Kindheit und frühen Jugend gehörten die Auftritte von wandernden Komödianten zu einprägsamen Erlebnissen, die in ihr den Wunsch stärkten, selbst auf der Bühne zu stehen. Die Brutalität des Vaters trieb die sehr junge Frau zur Flucht, die erst beim zweiten Mal 1716 zusammen mit Johann Neuber gelang.[3] Noch im selben Jahr schlossen sie sich der Spiegelbergschen Theatergruppe auf der Braunschweiger Neujahrsmesse an, wo sie auch im Theater des Herzogs Ludwig Rudolph spielten. Der Herzog (1671 – 1735) und seine Frau Christine Luise (1671 – 1747) waren begeistert von Friederike Caroline vor allem wegen ihrer „famosen Aussprechkunst“, die sie auch beim Vortrag eigener Gedichte unter Beweis stellte. 1690 erhielt Ludwig Rudolph von seinem Vater das Schloss Blankenburg als Nebenresidenz, das er nach einer langen Bauphase zu einer geschlossenen Hofanlage im repräsentativen barocken Stil ausbauen ließ. Um nicht auf Theater zu verzichten, wurde 1714 zunächst ein Komödienhaus auf der Südseite errichtet und dann 1727 – 1731 die Redoute für Komödien und Maskeraden. 1717 war Friederike Caroline das erste Mal in Blankenburg und viele Aufenthalte mit zahlreichen Auftritten als brillante Schauspielerin, die auch in Hosenrollen überzeugte, und später als Prinzipalin mit ihrer Truppe folgten. Am 5. Februar 1718 fand die vom Herzog Ludwig Rudolph verfügte Trauung von Friederike Caroline mit Johann Neuber in der Dom- und Hofkirche St. Blasii in Gegenwart des gesamten Hofstaates statt – eine außergewöhnliche Ehrung für die Komödiantin und ihren Gatten. Entscheidend aber war, dass mit dieser Eheschließung die Neuberin als Prinzipalin agieren konnte, auch wenn ihr Mann die rechtsfähige Person war.
Die Eheleute Neuber waren bereits Mitglieder des privilegierten Theaterunternehmens von Johann Caspar Haake, das im Besitz des Privilegs als Hofkomödianten von August dem Starken war, und wechselten bald ganz zur Haakschen Truppe. So spielten sie in Braunschweig, Hannover, Dresden, Frankfurt, Hamburg und Breslau. Besonders häufig aber spielte sie in der Messestadt Leipzig, einem Zentrum des Handels, der Kultur und der Wissenschaft.
Dort trafen sie 1727 auf den Leipziger Professor für Literaturtheorie, Sprachenforschung u.a. Johann Christoph Gottsched – die zentrale Figur der Frühaufklärung. Gottsched verurteilte den barocken Dichtungsstil, forderte mehr Klarheit und Anspruch in den Aussagen und vor allem Moralität. Er orientierte sich am französischen Das Zusammentreffen der beiden beflügelte die Reformbestrebungen der Neuberin für das Theater, in dem sie konsequent das Stegreiftheater mit den ordinären, entarteten und vernunftlosen Zoten des Hanswurst bekämpften. Gottsched bereicherte das Repertoire der Neuberschen Truppe durch die Auswahl und Übersetzung französischer Stücke.
Durch ihre Darstellungsweise und ihre Schauspielkunst machte die Neuberin das Theater in bürgerlichen Kreisen populär und verhalf damit dem Beruf der Schauspieler zu Ansehen. Die Rollen mussten von den Schauspielern erlernt werden, sie bekamen ein vereinbartes Honorar. Es entstanden erste Spielstätten wie der Saal über den Fleischbänken in Leipzig. Ein festes Gastspieltheater mit einem festen Ensemble gibt es in Leipzig aber erst seit 1817 – etwas, wofür die Neuberin gekämpft hatte. Dafür musste sich allerdings erst das Prinzipalwesen auflösen, was um 1770 begann. Zur Zeit der Neuberin herrschte in Deutschland Kleinstaaterei, was das Reisen von Spielort zu Spielort äußerst mühevoll gestaltete, aber auch eine existenzielle Abhängigkeit von den jeweiligen Herrschern zur Folge hatte. 1727 gründeten die Neuberin ihre eigene Theatergruppe, die auch das sächsische Hof-Privileg von August dem Starken erhielt. 1732 folgte das Niedersächsische Hofprivileg von Herzog Ludwig-Rudolph, das durch den Tod Ludwig-Rudolphs 1735 wieder verloren ging. Ebenso verhielt es sich mit dem Sächsischen Hofprivileg nach dem Tod Augusts des Starken 1733, worauf sich ihr größter Widersacher, der Prinzipal und Harlekin Müller dieses Hofprivileg sicherte und die Neuberin von der Bühne über den Fleischbänken in Leipzig vertrieb. Ähnlich verhielt es sich mit dem Holsteinischen Hofprivileg von Herzog Carl-Friedrich, das sie 1736 erhielt und 1739 durch den Tod des Herzogs wieder verlor. 1740 folgte die Neubersche Truppe der Einladung der Zarin an den Hof nach Petersburg. Nach nicht einmal einem Jahr verstarb die Zarin und die Neubersche Truppe musste zurück nach Deutschland.
Dort hatten sich inzwischen Schüler der Neuberin etabliert und ihr einen Wiedereinstieg erschwert bzw. unmöglich gemacht.
1741 erfolgte der Bruch der Neuberin mit Gottsched. Abgesehen davon, dass Gottsched nur wenige französische Dramen, Tragödien und Komödien lieferte, kam es auch zu gravierenden inhaltlichen Differenzen. Das Moralisieren Gottscheds, die Strenge und das starre Festhalten an klassizistischen Formen des Theaterspielens wie die Zeit-Ort-Handlung, die Art der Kostümierung und das ablehnende Verhältnis zur Komik – all das lehnte die Neuberin ab. Sie verbannte 1737 in dem Vorspiel „Der alte und der neue Geschmack“ den Harlekin von der Bühne, nicht aber den Humor. Und sie führte eine weitere Neuerung ein: Sie gab Musikstücke speziell für bestimmte Theateraufführungen in Auftrag.
Die neu zusammengestellte Theatertruppe der Neuberin fand ab 1744 in Leipzig besonderen Zuspruch unter Studenten, unter denen sich auch Gotthold Ephraim Lessing befand. Sie unterstützten die Neuberin durch Übersetzungen und versuchten sich an eigenen Stücken. So inszenierte die Neuberin Lessings erstes Theaterstück „Der junge Gelehrte“ mit großem Erfolg. Lessing forcierte mit seiner Literatur und Theatertheorie die Aufklärung und brachte Shakespeare auf die Bühne.
Friederike Caroline Neuber verstarb wenig beachtet und verarmt am 29. November 1760 in Dresden Laubegast. Ihre Theaterreformen mit ihren inhaltlichen Ansprüchen jedoch waren Voraussetzung dafür, dass das Drama in der deutschen Klassik eine so bedeutende Rolle spielte. Sie wurden von ihren Schülern weitergetragen und sind aus der Theatergeschichte nicht wegzudenken.
[1] Schauspielerin, Prinzipalin, Bühnenreformerin: Friederica Carolina Neuberin, Vorreiterin und Unternehmerin des Theaterwesens im 18. Jahrhundert, Schriften des Neuberin-Museums 45.
[2] Hilde Thoms: Wo unsere Schauspielkunst zur Welt kam – Blankenburg am Harz und das Bühnenleben der Neuberin. Hrsg. Verein zur Förderung der Friederike-Caroline Neuber-Stiftung Blankenburg e. V. 2019.
[3] Petra Oelker: Die Neuberin, Die Lebensgeschichte der ersten großen deutschen Schauspielerin. Reinbek bei Hamburg 2004, S.33 ff.