Identität und Tradition durch Sprache: Aktuelles zu niederdeutschen Orts- und Flurnamen

Saskia Luther und Christian Sadel | Ausgabe 1-2022

Ortseingangsschild Harsleben (Bildrechte MDR/Swen Wudtke).
Niederdeutsches Hinweisschild in Westerhausen (Foto: Helmut Zeitzmann)

Niederdeutsche Ortsnamen sind wie auch entsprechende Flurnamen sehr alt und vor allem mündlich tradiert. Neu ist jedoch die Möglichkeit, dass Orte diese Bezeichnungen nun auch offiziell tragen dürfen. Im Mai 2019 veröffentlichte der Landtag Sachsen-Anhalts unter dem Titel „Niederdüütsche Sprook in Sassen-Anhalt wedder opleven laten“ einen Beschluss, in dem er die Landesregierung unter anderem auffordert, „eine stärkere Sichtbarkeit der niederdeutschen Sprache auch in der Öffentlichkeit zu eröffnen. Dazu soll geeigneten Kommunen die Möglichkeit eingeräumt werden, auf Antrag bei der Kommunalaufsichtsbehörde gemäß § 14 Abs. 3 KVG LSA ihre Ortsnamen ergänzend auf Niederdeutsch zu führen“.[1]

Dieser Bitte entsprach das Ministerium für Inneres und Sport seinerseits am 16.11.2020 in einem Runderlass.[2] Staats- und Kulturminister Rainer Robra bekräftigte: „Die Pflege und die Förderung des Gebrauchs der niederdeutschen Sprache in Sachsen-Anhalt ist ein ausdrücklicher Bestandteil unserer Landeskulturpolitik. Ortsnamen sind ein Teil der Identität der Menschen im Land. Die Gemeinden erhalten die Möglichkeit, mit dieser Heimatverbundenheit offiziell für sich und ihre Region zu werben.“[3] Das Ergebnis ist noch recht frisch: Harsleben ist seit Ende Oktober 2021 die erste Gemeinde in Sachsen-Anhalt, die ihren niederdeutschen Namen auf dem Ortsschild präsentiert: Harschlewe – der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt gratuliert dazu!

Die Orte, an denen wir leben, prägen uns durch ihre topografischen, architektonischen, soziokulturellen und sprachlichen Eigen- und Besonderheiten – auch der Name des Ortes. Oft gibt es neben dem offiziellen Ortsnamen auch einen oder mehrere regionalsprachliche und mitunter liegt ein Bedürfnis vor, diese Bezeichnung offiziell zu machen. Mehrsprachige Ortsschilder gibt es nicht nur in Irland oder im Elsass, auch in Deutschland reagiert man schon lange auf entsprechende Bedürfnisse, in Friesland seit 1976 und im sorbischen Siedlungsgebiet, wo die Zweisprachigkeit der Ortsnamen gesetzlich vorgeschrieben ist. Niederdeutsch beschriftete Ortsschilder sind jüngere Phänomene. In Niedersachsen schon seit 2004 amtlich gestattet, sind selbst in Mecklenburg-Vorpommern niederdeutsche Ortsschilder erst seit Marz 2019 erlaubt.

Nun hat die Politik – auch in Sachsen-Anhalt – gehandelt. Aber wie immer, wenn es um den Erhalt, die Förderung oder überhaupt um die Belange der niederdeutschen Sprache geht, sind es die Engagierten und Enthusiasten, die zur Tat schreiten, die Ehrenamtlichen, Ortschronisten und Ortsräte, die oft einen niederdeutschen Hintergrund haben, jedoch keine aktiven Sprecher sein müssen. In Harsleben waren es vor allem der Ortschronist Olaf Fricke und der Bürger- und Heimatverein, allen voran Jens Fricke, die das Anliegen voranbrachten, unterstützt von der Ortsbürgermeisterin.

Einen anderen Weg geht Westerhausen. Öffentliche Gebäude, aber vor allem private Geschäfte wie Hofladen, Werkstätten oder der Bäcker wurden mit Schildern in niederdeutscher Sprache versehen. Darauf steht neben der Beschreibung des Ortes (z. B. „Jrundschaule“) ein Begleittext (z. B. „In disse Schaule kenn ji wat lehrn“). Mit Einwilligung der Hausbesitzer wird, um die Kosten zu decken, eine Spende von 20 Euro an den Heimatverein erhoben.

Laut Initiator Helmut Zeitzmann gab es bisher keine Ablehnung, dafür viele Nachfragen; das Projekt wird gern unterstützt. In Zukunft sollen noch ein Willkommensschild und inoffizielle Straßennamenschilder neben die offiziellen gesetzt werden.

Auch niederdeutsche Flurnamen prägen den öffentlichen Raum.„Flurnamen benennen Flächen, die nicht dauerhaft bewohnt, aber häufig durch den Menschen kultiviert und landwirtschaftlich genutzt sind.“[4] Für den niederdeutschen Raum stehen generell einige bereits ältere Sammlungen in Bezug auf eng begrenzte Gebiete zur Verfügung, wie z. B. für Magdeburg und den Kreis Wanzleben[5] so wie auch Abhandlungen zu einzelnen Flurnamen, z. B. zu den Flurnamen Dunk[6] und Tie.[7] Ein Überblick über vorliegende oder begonnene Sammlungen oder über generelle Aktivitäten in diesem Bereich fehlt noch immer. Da Flurnamen überwiegend mündlich überliefert wurden und die schriftlichen Quellen, wenn vorhanden, oftmals nicht der ursprünglichen niederdeutschen Form folgten,[8] erscheint die Untersuchung ausschließlich anhand von schriftlichen Quellen schwierig. Aber auch bei zusätzlichen Befragungen von Ortsansässigen ist Eile geboten, denn viele der alten Flurnamen sind schon jetzt kaum mehr bekannt.

Dem möchte der Arbeitskreis Sprache des Landesheimatbundes nun Rechnung tragen und die Flurnamen-Begeisterten zusammenbringen: Einen entsprechenden Aufruf finden Sie in diesem Journal!

 

Anmerkungen

[1] Beschluss des Landtags von Sachsen-Anhalt, Drucksache 7/4431; https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/drs/wp7/drs/d4431vbs.pdf (07. 02. 2022).

[2] Darin heißt es: „Gemeinden, die ihren Gemeindenamen zusätzlich in der Regionalsprache Niederdeutsch als Bezeichnung führen wollen, haben dazu […] grundsätzlich die Möglichkeit. Durch die Ergänzung des Gemeindenamens in niederdeutscher Sprache kann auf örtliche Besonderheiten, die den einzelnen Gemeinden ein Alleinstellungsmerkmal vermitteln, auch nach außen hin Ausdruck verliehen werden.“ https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/perma?j=VVST-202000-MI-20201116-SF (16. 11. 2021).

[3] www.hallanzeiger.de/aktuelle_nachrichten_land_sachsen_anhalt/05-12-2020-ortsnamen-in-sachsen-anhalt-jetzt-auch-auf-plattdeutsch-moeglich (16.11.2021).

[4] Siegfried-Schupp, Inga: Flurnamen im Wandel. Historische und soziologische Faktoren. In: Namenkundliche Informationen 111, Leipzig 2019, S. 312 – 321, hier: S. 312.

[5] Burghardt, Werner: Die Flurnamen Magdeburgs und des Kreises Wanzleben. Köln, Graz 1967.

[6] Bathe, Max: Der Flurname Dunk in der Provinz Sachsen. In: Zur Geschichte und Kultur des Elb-Saale-Raumes. Hrsg. von Otto Korn. Burg 1939, S. 87 – 103.

[7] Bischoff, Karl: Der Tie. Mainz 1971. Bischoff, Karl: Der Tie II. Mainz 1972.

[8] Z. B. bei der Erstellung der Separationskarten im 19. Jh. durch hochdeutsche Beamte in niederdeutschen Gebieten.