Das Bad Dürrenberger Brunnenfest

Claudia Klepzig | Ausgabe 2-2022 | Lebendiges Kulturerbe

Rummelplatz zum Brunnenfest mit dem damals aktiven Solesprudel auf der Fläche des heutigen Borlachplatzes, im Hintergrund das Gradierwerk. Private Kartensammlung eines Einwohners aus Bad Dürrenberg.
Brunnenfest, im Vordergrund der damals aktive Solesprudel auf dem heutigen Borlachplatz. Private Kartensammlung eines Einwohners aus Bad Dürrenberg.
Feier des Brunnenfestes im und um den Kurpark von Bad Dürrenberg. Private Kartensammlung einer Einwohnerin aus Bad Dürrenberg.
Verkostung der Sole. Foto: Stadtverwaltung – Solestadt Bad Dürrenberg.
Beim Borlachspiel auf dem Borlachplatz. Foto: Stadtverwaltung – Solestadt Bad Dürrenberg.
Umzug mit historischen Kostümen. Foto: Stadtverwaltung – Solestadt Bad Dürrenberg.

Seit dem ersten Brunnenfest vor über 250 Jahren ist der Anlass immer der gleiche – die Erschließung der Sole. Damit begann für die Stadt eine neue wirtschaftliche Ära, die Teil der Geschichte und so umfangreich ist, dass Einwohner und Gäste dieses Ereignis zelebrieren. Trotz der unklaren Anfänge entwickelte es sich seit den ersten Aufzeichnungen aus dem Jahr 1816 zu einer jährlich stattfindenden Tradition. Während es ursprünglich noch als Zunftfest der Salineknappschaft gewidmet war, kamen bald aus allen Richtungen Interessierte, die dem Soledurchbruch und dem Wirken Borlachs[1] gedenken wollten. Es waren Tage des Zusammenkommens, an denen die sonst durchgehend arbeitenden Siedepfannen ruhten. Der Festumzug, die Lesung der Borlachakte, die Solemessung und ein gemeinsames Mahl bei Musik und Tanz sind Elemente des Festes, die bis heute bestehen. Der einleitende „Zapfenstreich“ und der gemeinsame Gottesdienst waren noch bis ins 20. Jahrhundert Bestandteile. Wo früher Rummel und Spielbuden ihren Platz fanden, sind heute Verkaufsstände aufgestellt mit regionalen Produkten und Handwerkskunst. Ab den 1920er-Jahren wurde das Brunnenfest zunehmend von Vereinen unterstützt, die Einblicke in ihre Tätigkeiten und somit auch in die Geschichte und Zukunft des Stadtlebens geben.

Trotz der politischen Brüche im 20. Jahrhundert, die zur Einstellung der Salzproduktion und später auch des Kurbetriebs führten, wurde das Fest nach Kriegsende wieder mit viel Kraft und Engagement zum Leben erweckt. Durch die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der Stadt wandelte es sich zwar in seiner Form, aber die Bräuche überlieferten sich bis heute. Aus den Traditionen entwickelten sich neue Ideen, wie die Krönung der Brunnenkönigin, die das Brunnenfest repräsentiert. Zudem wurde es zu einem Platz für die Ehrung weiterer Ereignisse wie die Einweihung des „Meller Tor“, welches der Partnerstadt Melle gewidmet ist. Der Anlass für die Feier des Brunnenfestes ist die Erinnerung an die Erschließung der Solequelle in Bad Dürrenberg durch Johann Gottfried Borlach am 15. September 1763. Zur Visualisierung dieses geschichtsträchtigen Ereignisses wird seit 1955 das Borlachspiel von Karl Zimmermann aufgeführt, welches auf den uns bekannten historischen Fakten und Kenntnissen über die Sage vom Soleaffen beruht. So begann 1744 die Schachtabteufung in Dürrenberg und nach 19 Jahren stießen die Bergleute endlich auf Sole. Dabei wurde der Bergmann Jacob Scheibe von dem freigesetzten Solestrom erfasst und nahm so das erste Dürrenberger „Solebad“. Laut der Sage handelte es sich hierbei wohl nur um die kleine Rache des Soleaffen – eines heimischen unruhestiftenden Wassergeistes, den Scheibe zuvor verärgert hatte.

Das Brunnenfest wird nach Möglichkeit jedes Jahr Ende Juni gefeiert und bedient sich traditioneller sowie moderner Programmpunkte. Nachdem am Freitag des Festwochenendes der erste Auftakt mit dem Brunnenfestkonzert in der Kirche St. Laurentius sowie darauf folgender Open-Air Musik geschaffen wurde, kommt es am Samstag früh schließlich zur Eröffnungszeremonie auf dem Borlachplatz. Nach dem Grußwort des Bürgermeisters und den Ansprachen von Brunnenkönigin und Solezwerg wird seit mittlerweile über 60 Jahren das „Borlachspiel“ von den Mitgliedern des Heimatbundes Bad Dürrenberg e. V. aufgeführt. Dabei wird die Entdeckung der Sole durch den sächsischen Bergrat Borlach und seine Salinenarbeiter gefeiert und die Sage des Soleaffen auf die Bühne gebracht, um die Geschichte in Erinnerung zu halten. Anschließend wird traditionell die Borlachakte verlesen und eine Solemessung durchgeführt, bei der die Ausflussmenge und der Salzgehalt der Solequelle bestimmt werden. Die gesamte Zeremonie wird musikalisch begleitet.

Nach der Eröffnung beginnt das Programm auf der Freilichtbühne, Händler öffnen entlang des Gradierwerkes ihre Stände. Bei gutem Essen, reichlich Unterhaltung und Musik wird auf dem Festplatz gefeiert, mit dem historischen Salzkarrenschieben und Schausieden, bei dem an der mobilen Siedepfanne der traditionelle Siedevorgang gezeigt wird. Der letzte Festtag – Sonntag – wird traditionell durch den großen Festumzug eingeleitet, der sich vom Marktplatz aus durch das Stadtgebiet zieht. An der Spitze fahren der Bürgermeister, die Brunnenkönigin und Bergrat Borlach mit den Borlachspielern sowie die Vertreter des Stadtrates in Begleitung der Freiwilligen Feuerwehr. Hinter ihnen reihen sich über 50 Vereine, Schulen, Kindertagesstätten sowie die Vertreter nahegelegener Kommunen und der Partnerstädte Bad Dürrenbergs ein: Caudebec lès Elbeuf (Frankreich), Encs (Ungarn), Ciechocinek (Polen) und Melle. Jedes Jahr werden jeweils zwei Vertreter der vier Partnerstädte als Gäste eingeladen, um die Partnerschaften zu pflegen. Eines der vielen Highlights des Festumzuges sind die als Solezwerge verkleideten Kita-Kinder. Anschließend findet man sich erneut zum bunten Treiben im Kurpark ein, bis das Brunnenfest schließlich 17 Uhr seinen Abschluss findet.

Die traditionelle Ausübung des Brunnenfestes lässt sich anhand von vorliegenden Aufzeichnungen und historischen Belegen bis in das Jahr 1816 zurückverfolgen. Dabei handelt es sich um Belege wie Postkarten, Bilder und für die neuere Zeit auch Videos. Hervorzuheben ist besonders ein Schriftverkehr aus den Jahren 1817 bis 1863. Es ist zu erkennen, dass das Brunnenfest vordergründig der Erhaltung und Weitergabe von Tradition an nachfolgende Generationen dient. Und es ist ein Fest der Begegnung, zu dem man Freunde und Verwandte empfängt und sich auf eine Zeitreise bis zur Entdeckung der Solequelle begibt. Vor allem durch das unverzichtbare Engagement der Vereine bleibt die Geschichte in der kollektiven Erinnerung der Einwohner erhalten und wird jährlich neu erzählt und gezeigt, sei es nun durch das Borlachspiel, das Schausieden oder das Verlesen der Borlachakte. Das Brunnenfest ist nicht nur Volksfest, sondern auch ein Andenken an die Vorfahren und an den Ursprung der Dürrenberger Salinengeschichte.

Sowohl an der Vorbereitung als auch am Ablauf ist die Mithilfe der Einwohner, Vereine, regionalen Organisationen und der öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten von großer Bedeutung. Diese sind es, die mit viel Engagement ein prächtiges Programm mit traditionellen Höhepunkten und bunten Veranstaltungen für alle Generationen, für Gäste und Einwohner schaffen. Während tagsüber Programmpunkte wie Lesungen, eine Schausiederei und Auftritte des Volkschors der Stadt stattfinden, spielt sich abends ein sommerliches Musikprogramm im Kurparkpavillon und ein Rummel auf dem Festgelände mit anschließendem Feuerwerk ab. Die in Trachten gekleideten Einwohner und der Auftritt des „Soleaffen“ unterstützen das bunte Treiben und erinnern an den Festanlass. Mit einem Kanonenschuss wird das unentbehrliche „Borlachspiel“ eingeleitet, welches den Moment des Soledurchbruches und die anschließende Solemessung darstellt sowie von Mitgliedern des Heimatbundes Bad Dürrenberg e.V. gewissenhaft nachgespielt, und so achtsam an die nächsten Generationen weitergeben wird. Ein weiterer Höhepunkt des Brunnenfestes ist der historische Festumzug durchs Stadtgebiet, der dank zahlreicher, regionaler Mitwirkenden jedes Jahr wieder mit viel Enthusiasmus abwechslungsreich und lebendig gehalten wird. Die Bindung dieser Vereine an die Stadt und die verstärkte Heimatverbundenheit der Mitwirkenden sind indes weitere Folgen, die durch das Fest erzeugt werden. Das Brunnenfest hat somit nicht nur einen großen historischen Wert für die Einwohner und Gäste Bad Dürrenbergs, sondern ist auch ein feierliches Symbol für die Zukunft des Stadtlebens.

Aufgrund der optimalen Lage Bad Dürrenbergs im Dreiländereck lockt das Brunnenfest jedes Jahr auch Besucher aus Sachsen und Thüringen an. Heimatzeitungen und Tageszeitungen kündigen die anstehenden Festtage über die Stadtgrenzen hinaus an.

Dank der Repräsentation durch die Brunnenkönigin, die auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen und Anlässen präsent ist, wird zudem über das Jahr hinweg Werbung für das Fest erzielt. Auch die am Festgeschehen teilnehmenden Figuren des Solezwerges und des Soleaffen sind Bestandteile des Marketings, die sowohl in Bildern als auch in Artikeln über das Brunnenfest auftauchen. So hat ein Dürrenberger Autorenpaar bereits ein Kinderbuch um die Sage des Soleaffens publiziert, das zum einen die Kinder der Stadt begeistert, zum anderen an die Geschichte der Soleerschließung heranführt, aber auch von Besuchern erworben wird. Auch andere Einwohner nutzten ihr Wissen und ihre Erfahrungen des Brunnenfestes und schrieben sie als Teil der Heimatgeschichte nieder.

Mit dem Status des längsten zusammenhängenden Gradierwerks Deutschlands, taucht die Stadt mit ihrem Salinenwesen zudem in überregionaler Fachliteratur auf und überliefert schriftliche Informationen zur Erschließung der Solequelle. Historisch betrachtet war das Brunnenfest das jährliche Ereignis, nach dem sich Gäste Bad Dürrenbergs aber auch alle anderen Feierlichkeiten in der Stadt richteten. Überdies bietet es immer wieder Gelegenheit, die Partnerschaften zu den Partnerstädten aufleben zu lassen und Vertreter zu empfangen – gleiches gilt auch für die Nachbargemeinden in der Region. In Bezug auf Nachhaltigkeit punktet das Brunnenfest, mit den über den Regelbetrieb hinaus eingesetzten Straßenbahnen von Leuna, Schkopau, Merseburg und Halle, die eine umweltschonende Anreise ermöglichen. Dank dem Verkauf regionaler Produkte wie Soleeier werden traditionelle Rezepte nachhaltig bewahrt. Zudem sind es vor allem regionale Künstler und Musiker, die ihr Handwerk auf dem Fest präsentieren.

Träger des Brunnenfestes ist die Stadtbevölkerung, darunter Vereine, öffentliche Einrichtungen, Einzelpersonen und Interessengruppen. Aufgrund des ehrenamtlichen Mitwirkens der Bevölkerung ist es jedes Jahr möglich, dieses Fest in diesem Umfang stattfinden zu lassen. Viele Highlights, die das Brunnenfest ausmachen, wie das Borlachspiel und der historische Festumzug, können ohne große Finanzierung realisiert werden. Zugleich präsentieren sich Vereine wie der Heimatbund Bad Dürrenberg e. V. und ansässige Künstler sowie Einrichtungen beim Festablauf. Programme für Kinder werden zumeist von den Kindergärten und Schulen organisiert und auch die Sportvereine bringen sich mit erlebnisreichen Angeboten ein. Während sich die Feuerwehr um die Absicherung des Feuerwerkes kümmert, übernehmen Handwerker aus der Stadt im Rahmen der Vorbereitung logistische Aufgaben. Darüber hinaus sind die Mitarbeiter der Stadtverwaltung am gesamten Festwochenende im Einsatz und koordinieren den Ablauf sowie den äußeren Rahmen. Für ein rundes und atmosphärisches Brunnenfest sorgen indes weitere wichtige Beteiligte. Dazu gehört die jährlich gewählte Brunnenkönigin, der Solezwerg, der die Besucher zum Trinken der Sole aufruft und der Soleaffe, der beim Besichtigen des Soleschachtes den ein oder anderen Interessierten tückisch überrascht. Während am Festumzug über 50 Vereine eingebunden sind, lässt sich die genaue Zahl aller Träger des Bad Dürrenberger Brunnenfestes schwer benennen, letztendlich sind aber mehrere Hundert Menschen beteiligt.

Die Solestadt Bad Dürrenberg stellte im Jahr 2021 gemeinschaftlich mit der Landesgartenschaugesellschaft den Antrag zur Aufnahme des Dürrenberger Brunnenfestes in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Dieses Jahr gab es die freudige Nachricht der Expertenkommission aus Sachsen-Anhalt, dass der Antrag positiv bewertet und die erste Hürde des zweistufigen Verfahrens genommen wurde. Die Bewerbung liegt jetzt im Kulturministerium, wo über den Antrag entschieden wird.

[1] Johann Gottfried Borlach, geboren 1687 in Dresden, ist der Gründer der Dürrenberger Saline.