Das Museum für Vogelkunde Heineanum in Halberstadt und der Rotmilanschutz

Martin Kolbe | Ausgabe 3-2022 | Natur und Umwelt

Nachdem die jungen Rotmilane aus dem Nest genommen wurden, werden sie zum Boden heruntergelassen und dort vermessen, markiert und besendert. Foto: Matthias Behne, laut wie leise.
Die jungen Rotmilane sind in der Nähe des Menschen sehr ruhig und stellen sich tot. Foto: Matthias Behne, laut wie leise.
Die Sender werden den jungen Rotmilanen wie ein Rucksack auf den Rücken geschnallt. Foto: Matthias Behne, laut wie leise.
Junge Rotmilane im Nest. Foto: Martin Kolbe.
Jungvogel. Foto: Martin Kolbe.

Rotmilane sind auch für Laien leicht zu erkennen und seit Jahrhunderten ein Teil der vom Menschen geformten Kulturlandschaft. Auch in früheren Zeiten scheint der Rotmilan in Sachsen-Anhalt nicht selten gewesen zu sein. So schrieb Johann Friedrich Naumann (1780 – 1857) über den Rotmilan in seinem Heimatgebiet bei Köthen: „In hiesiger Gegend ist er ein so gemeiner Raubvogel, daß ihn jedermann … kennt, … Er ziehet selten einzeln, mehrentheils in kleinen, oft aber auch in großen Gesellschaften zu fünfzig bis hundert Stücken.“ In der folgenden Zeit änderte sich in der Bevölkerung jedoch der Blick auf die Greifvögel und es setzte eine zum Teil starke Verfolgung ein. Ursache dafür war die Ansicht, dass die „Raubvögel“ das Niederwild, also Hasen, Rebhühner und Kaninchen, reduzieren und somit ein Konkurrent des „einfachen Mannes“ sind. Erst einige Jahrzehnte später, mit der zunehmenden Seltenheit der Greifvögel und der Erkenntnis, dass die meisten Greifvögel ein ganz anderes Nahrungsspektrum haben, erfolgte ein strenger Schutz (z. B. Reichsnaturschutzgesetz von 1935). Spätestens nach dem 2. Weltkrieg führten die Bemühungen zu einer Stabilisierung und einer langsamen Erholung des Rotmilanbestandes.

Die ersten regelmäßigen Untersuchungen zum Bestand des Rotmilans, die weniger vom Naturschutzgedanken als von der Wissenschaft ausgingen, erfolgten in Sachsen-Anhalt ab den 1950er Jahren im Hakel-Wald im nördlichen Harzvorland. Dort brüteten in den 1970er Jahren bis zu 136 Paare, was dem kleinen. Waldgebiet den Beinamen „Wald der Milane“ einbrachte. Bis heute ist keine weitere Region bekannt, in der so viele Rotmilane auf so engem Raum zusammen gebrütet haben. In dieser Zeit etablierte sich zunehmend der Naturschutzgedanke in der Bevölkerung und die Vogelkunde wurde zur Freizeitbeschäftigung von immer mehr Personen. Vom Vogelkunde Museum Heineanum in Halberstadt ausgehend, reifte in den 1970er Jahren der Gedanke, einen umfassenden Brutvogelatlas für die damalige DDR zu erstellen. In einem großen Kraftakt wurde von 1978 bis 1982 das gesamte Gebiet der DDR von über 780 ehrenamtlichen Vogelkundlern bearbeitet und alle Vogelarten registriert. Für den Rotmilan fiel bei der anschließenden Auswertung auf, dass er fast flächendeckend verbreitet und der Bestand viel höher war, als bisher angenommen. Für Sachsen-Anhalt wurde ein Bestand von ungefähr 2.000 Brutpaaren ermittelt. Das erstaunliche daran war, dass man zu dieser Zeit noch von einem Weltbestand von wenigen tausend Tieren ausging. Besonders dicht besiedelt waren zu jener Zeit das nördliche Harzvorland und die Magdeburger Börde.

Der Fokus der Vogelkundler am Halberstädter Museum richtete sich fortan auf die Greifvögel, besonders auf den Rotmilan. Da die großen Waldgebiete Hakel und Huy bereits seit einigen Jahrzehnten gut untersucht waren und die Bestände dort langsam abnahmen, wurde nun auch die offene Agrarlandschaft zwischen den Waldgebieten in den Blick genommen, um Ursachen für die Veränderungen zu ermitteln. Das Ergebnis war erstaunlich. Die Rotmilane brüteten zunehmend in der offenen Landschaft und besiedelten nun die Feldgehölze und Baumreihen, die erst in den 1950er und 1960er Jahren gepflanzt worden waren. Nun hatten die Rotmilane auch die Möglichkeit, außerhalb der Wälder zu brüten, da die Bäume groß genug waren, um als Nistplatz zu dienen. Für die Rotmilane war das sehr vorteilhaft. Mussten sie vorher weite Strecken für die Nahrungssuche zurücklegen, war es ihnen nun möglich, mitten in ihren Nahrungsgebieten zu brüten. Daraufhin nahm der Rotmilanbestand insgesamt deutlich zu, obwohl weniger Rotmilane in den großen Wäldern brüteten.

Anfang der 1990er Jahre änderte sich mit dem Fall der Mauer und der politischen Wende jedoch nicht nur für die Menschen in der ehemaligen DDR viel, sondern auch für den Rotmilan. Um den Weiterbetrieb des Museums für Vogelkunde Heineanum zu unterstützen, wurde 1992 der „Förderkreis Museum Heineanum e. V.“ gegründet. Der Verein widmete sich jedoch nicht nur der Unterstützung des Museums, sondern hatte immer auch den Natur- und Artenschutz im Blick. Für den Rotmilan änderte sich vor allem sein Lebensraum. Die Umstellung der Landwirtschaft führte zu einem verringerten Angebot an Nahrung, was sich in den folgenden Jahren in einem starken Rückgang des Brutbestandes um Halberstadt niederschlug. Die Kooperation verschiedener Akteure erbrachte schließlich den Befund, dass dies auch für andere Gebiete galt und die Anzahl der brütenden Rotmilane insgesamt immer geringer wurde. Dass die Bemühungen zum Schutz des Rotmilans noch einmal verstärkt werden mussten, lag damit auf der Hand. Verschiedene Initiativen wurden in den folgenden Jahren vom Museum Heineanum zusätzlich zur eigentlichen Museumsarbeit ehrenamtlich realisiert. Deshalb reifte der Gedanke, dass es eine Stelle geben müsste, die sich ausschließlich den Schutzbelangen der Greifvögel, insbesondere denen des Rotmilans, widmen kann. Diese Idee ließ sich allerdings nicht gleich verwirklichen, während der Bestand an Rotmilanen jedes Jahr um weitere ein bis zwei Prozent abnahm. Ursache dafür ist wahrscheinlich das stetig abnehmende Nahrungsangebot sowie die Erreichbarkeit der Nahrung im Lebensraum des Rotmilans. Ab 2010 ermöglichten die Einführung neuer Förderprogramme und eine breit angelegte Initiative mehrerer Akteure einen neuen Anlauf bei der Umsetzung eines besseren Schutzes für den Rotmilan. In den Jahren 2012 / 13 wurden alle Brutpaare in Sachsen-Anhalt erfasst und bis 2014 ein Konzept für den Artenschutz in Sachsen-Anhalt erstellt (Artenhilfsprogramm für den Rotmilan in Sachsen-Anhalt). Ein Punkt, der für den zukünftigen Schutz wichtig sein würde, wurde in dem Konzept deutlich hervorgehoben: die Notwendigkeit der Etablierung eines „Kompetenzzentrums Rotmilan“. Ebenfalls 2014 erhielt der „Förderkreis Museum Heineanum e. V.“ die Anerkennung als Naturschutzverband. Seither führt er den Namen „Förderkreis für Vogelkunde und Naturschutz am Museum Heinenaum e. V.“. Für den Verein war dies ein wichtiger Schritt, um zukünftig besseren Einfluss auf den Schutz des Rotmilans zu nehmen und Fördermittel einwerben zu können. 2015 wurde vom sachsen-anhaltischen Landtag schließlich beschlossen, dass das Land eine besondere Verantwortung für den Erhalt dieser Vogelart hat und dass Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen. Mit dem Landeshaushalt für das Folgejahr wurden finanzielle Mittel beschlossen, die dem „Förderkreis für Vogelkunde und Naturschutz am Museum Heinenaum e. V.“ zur Einrichtung des „Kompetenzzentrum Rotmilan“ zur Verfügung gestellt werden sollten. Ab 2016 war es so möglich, eineinhalb Personalstellen zu besetzen, die sich hauptamtlich dem Schutz des Rotmilans in Sachsen-Anhalt widmen. Das „Rotmilanzentrum am Museum Heinenaum“ konnte im März 2016 seine Arbeit aufnehmen und ist seitdem das Informations- und Beratungszentrum rund um den Rotmilan in Sachsen-Anhalt.

 

Die Arbeit des Rotmilanzentrums in Halberstadt

Der Rotmilan ist ein typischer Vogel der offenen Agrarlandschaft. Während der Frühlings- und Sommermonate verbringt er einen großen Teil des Tages fliegend, zum einen zur Nahrungssuche, aber auch zur Revierverteidigung und Balz. Durch seinen Lebensraum und seine Lebensweise bewegt sich der Rotmilan im Spannungsfeld zwischen „Intensivierung der Agrarlandschaft“ und „Ausbau erneuerbarer Energie“. Beide Schlagworte stehen stellvertretend für eine Reihe von Problemen, die beim Artenschutz auftreten können. So wird seit langem vermutet, dass Rotmilane während der Brutzeit nicht genug Futter finden, um ihre Jungvögel ausreichend mit Nahrung zu versorgen. Wenn der Nahrungsbedarf am größten ist, also Jungvögel im Nest versorgt werden müssen, sind weite Flächen des Rotmilan-Lebensraumes dicht von Ackerkulturen bestanden, die es dem Greifvogel nahezu unmöglich machen, Nahrung zu finden. Die heute viel ertragreicheren Ackerkulturen stehen so dicht, dass der Rotmilan am Boden keine Maus oder Ähnliches erbeuten kann. Das Schlagwort „Ausbau der Windenergie“ steht für den Konflikt, dass Rotmilane, die sich bedingt durch ihre Lebensweise viel in der Luft aufhalten, verhältnismäßig oft mit Windrädern kollidieren. Diese vermehrten Verluste, aber auch die schlechtere Nahrungsverfügbarkeit könnten Gründe für den Rückgang der Rotmilanpopulation sein. Für einen erfolgreichen Schutz müssen jedoch neben seiner Lebensweise und den Ansprüchen an seinen Lebensraum auch die Belange der Landwirtschaft und die des Ausbaus der erneuerbaren Energien beachtet werden. Das Rotmilanzentrum wurde ins Leben gerufen, um den Akteuren dieses Spannungsfeldes als Ansprechpartner zu dienen und die Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schließen. Das Rotmilanzentrum dient somit als Beratungs- und Informationsstelle.

Um langfristig für den Schutz dieser besonderen Vogelart zu sorgen, ist das Aufgabenspektrum des Rotmilanzentrums breit gefächert. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, den Artenschutz in der praktischen Umsetzung zu verbessern und voranzutreiben. Landnutzer werden dazu beraten, welche Maßnahmen auf den Flächen die Nahrungsverfügbarkeit für Greifvögel verbessern. Bei Bauvorhaben von Windenergieanlagen werden Maßnahmen angeregt, die das Konfliktpotenzial deutlich minimieren.

Trotz jahrelanger Arbeit für den Schutz des Rotmilans und vieler Erkenntnisse in dieser Hinsicht, bleiben immer noch wichtige Fragen offen. Für die Beratungstätigkeit und die Umsetzung moderner Schutzkonzepte ist die andauernde intensive Beschäftigung mit dem Rotmilan deshalb unverzichtbar. Mit Hilfe von Fördermitteln und durch Teilnahme an überregionalen Projekten sowie durch Kooperationen mit Universitäten und Hochschulen bemüht sich das Rotmilanzentrum, Wissenslücken zu schließen und Ergebnisse der Forschung in der Praxis anzuwenden.

Für den erfolgreichen Schutz einer Art, die sich über ganz Europa bewegt, genügt die regionale Betrachtung des Problems nicht. Auch in anderen Bundesländern und anderen europäischen Staaten gibt es Probleme im Artenschutz. Die Ansätze, wie mit den Problemen umgegangen wird, können ähnlich sein, aber auch völlig neue Ideen und Methoden beinhalten. Daher ist die Vernetzung mit anderen Akteuren dieses Feldes innerhalb und außerhalb Deutschlands für den Erfahrungs- und Wissensaustausch ebenso unabdingbar wie die Vermittlung der Arbeit des Rotmilanzentrums gegenüber einer interessierten Im Artenschutz kommt die Öffentlichkeitsarbeit meist viel zu kurz. Weltweit gibt es viele Beispiele dafür, dass Artenschutz besser funktioniert, wenn die Bevölkerung hinter den Schutzprojekten steht und die Maßnahmen versteht. Das Rotmilanzentrum kümmert sich zwar primär um den Rotmilan, doch können die Maßnahmen, die für diese Art umgesetzt werden, auch für viele andere Tierarten die Lebensbedingungen verbessern. Das Verständnis dafür in die Bevölkerung zu tragen, ist ein wichtiger und nachhaltiger Beitrag für den Artenschutz und wird sich hoffentlich zukünftig auszahlen.