Die Mühlen der Magdeburger Börde

Mühlenland Sachsen-Anhalt, Teil 12-2

Thorsten Neitzel2, Winfried Sarömba2, Henry Bergmann1,2 (Federführung) | Ausgabe 1-2022 | Bürgerschaftliches Engagement | Kulturlandschaft

Bild 1 Ausdehnungsgebiet der Magdeburger Börde. Grafik: Winfried Sarömba.
Bild 2 Windmühlen bei Barby. Sammlung Henry Bergmann.
Bild 3 Aufbau der Mühle Franke bei Tornitz. Grafik: Thorsten Neitzel.
Bild 4 Vier Walzenstühle in der Paltrockwindmühle Brumby. Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 5 Bilausche Ventikanten mit Drehhecks an der Paltrockmühle Klein Germersleben. Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 6 Mühle bei Badeleben in der Börde am 21. 06. 1986. Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 7 Reste der Mühle bei Badeleben. Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 8 Desolate Bockwindmühle Michaelis in Drackenstedt. Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 9 Nach ihrer Umsetzung und Restaurierung, aufgenommen 2011 in Hohenwarthe. Foto: Henry Bergmann.
Bild 10 Wilfried Schmidt vor der restaurierten Mühle in Eimersleben. Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 11 Bockwindmühle Sachsendorf (Salzlandkreis) im April 1987 … Foto: Thorsten Neitzel.
Bild 12 und im Januar 2022. Foto: Henry Bergmann.

1 Institut EUT, An-Institut an der HS Anhalt
2 Arbeitskreis Mühlen Sachsen-Anhalt e. V.

 

Gemeinhin verbindet man mit dem Begriff Börde eine Gegend mit sehr fruchtbaren Böden, aber dies ist nicht korrekt. Deutschlandweit existieren noch mehrere Gebiete, die den Namen einer Börde tragen. Sprachhistorisch geht der Ursprung des Wortes wohl auf angestammte Besitzungen bzw. auf Einnahmenbezirke zurück. Oft hatte die Bevölkerung auch ein engeres lokales Verständnis ihrer Börde, wie es von den elf Dörfern bekannt ist [1], die überwiegend im ehemaligen Kreis Calbe zu finden waren:

Stemmen, Biere, Bahrendorp,
Zens, Mühlinge, Eikendorp,
Brumby un Glöthe,
Uellnitz und Farstete (Förderstedt)
Atzendorp is ok derby,
soll’n das nich elp dörper sy?

Die Ausdehnung der Magdeburger Börde ist im Detail von verschiedenen Geographen uneinheitlich definiert worden. Sie erstreckt sich im Wesentlichen über ca. 1.000 km2 westlich von Magdeburg bis zum Ostbraunschweigischen Hügelland und den Ausläufern des nördlichen Harzvorlands (Bild 1). Die Boden- und Ackerzahlen der Schwarzerde gehören zu den höchsten in Deutschland und seit langem wird hier Landwirtschaft betrieben. Wenn früher der Getreideanbau und -export dominierten, so kam im 19. Jahrhundert der Zuckerrübenanbau hinzu, der manchen geschäftstüchtigen Landeigner zum „Rübenbaron“ machte, was auch heute noch an den sogenannten „Rübenpalästen“ in vielen Bördedörfern zu erkennen ist.

So ist es nicht verwunderlich, dass einst eine große Zahl von Mühlen in der leicht hügeligen Landschaft stand, um einen Teil des geernteten Getreides zu verarbeiten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sollen etwa 30 Windmühlen pro 100 km2 und allein ca. 800 im ehemaligen Bezirk Magdeburg gestanden haben [2]. Das Mühlensterben hat in den letzten einhundert Jahren zu einer drastischen Reduzierung der Mühlenanzahl geführt. Der Erhalt der letzten Windmühlen in der Region ist deshalb eine vordringliche Aufgabe.

Bild 2 vermittelt einen ungefähren Eindruck damaliger Mühlenlandschaften. Von den sechs Mühlen auf dem Bild aus der Zeit um 1904 ist heute nur noch der gemauerte Turm der 1875 erbauten Turmholländermühle Bunge, später Falcke (ganz links im Bild), erhalten.

Am häufigsten waren die Bockwindmühlen. Dieser Mühlentyp, der ursprünglich für nur eine Vermahlungsstrecke konzipiert war, wurde hier von vielen Müllern ständig modernisiert und erweitert, um bei der hohen Mühlendichte konkurrenzfähig zu bleiben. Das Flügelsystem, der Maschinenpark und die Vorrichtungen zum Transport des Mahlguts wurden stets auf dem neuesten Stand gehalten. Die technische Ausstattung einer Bockwindmühle zu Beginn des 20. Jh. bestand daher in der Börde aus Mahlgang, Schrotgang, Walzenstuhl, Sichtmaschine(n), Reinigungsmaschinen, Mischmaschine(n) sowie oftmals einer automatischen Mahlgutförderung über Elevatoren. Das Bild 3 demonstriert die Struktur und die umfangreichen technischen Ausstattungen der ehemaligen Mühle Franke bei Tornitz bzw. der Mühle Schernikau bei Ostingersleben, die typisch für Bockmühlen in der Magdeburger Börde waren. Wo es die finanzielle Situation zuließ, wurden Bockwindmühlen vereinzelt auch zu Paltrockwindmühlen umgebaut [3]. So ist es nicht verwunderlich, dass die vermutlich größte jemals gebaute Paltrockwindmühle mit ihrem imposanten Walzenboden, auf dem vier (!) Walzenstühle aufgestellt sind, natürlich in der Börde, und zwar in Brumby, einem Ortsteil von Staßfurt, steht (Bild 4).

Diese Mühle verfügte zudem über eine lose Getreideannahme und das modernste Flügelsystem, das es zur damaligen Zeit gegeben hatte – die aerodynamisch günstigen Ventikanten nach Major Bilau mit sogenannten Drehhecks zur Regulierung. Die Mühle war 1848 als Bockwindmühle erbaut und 1950 / 51 zur Paltrockmühle umgebaut worden. Wenngleich sie vom Äußeren her eine Windmühle geblieben war, konnte man hier bereits fabrikmäßig produzieren, was ansonsten nur in einer modernen Motormühle möglich war. Eine ähnliche Mühle, wenn auch von etwas kleineren Ausmaßen, befindet sich bei Klein Germersleben, einem Ortsteil der Stadt Wanzleben/Börde nahe Sommersdorf (Bild 5). Leider wurde dieses Flügelkreuz im Januar 2018 durch einen Orkan zerstört, konnte aber in Form eines Jalousieflügelkreuzes repariert werden.

Doch auch diese technischen Neuerungen und Erweiterungen konnten das bereits im 19. Jh. beginnende Mühlensterben nicht aufhalten. Insbesondere der Strukturwandel in der Landwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg und die Aufgabe der meisten kleinbäuerlichen Wirtschaften in der DDR führten dazu, dass den Müllern die Kundschaft weggenommen wurde und insbesondere die kleinen Naturkraftmühlen massenweise stillgelegt wurden und verfielen. Material- und Geldmangel taten ihr Übriges.

Dass auch politische Gründe zum Ende einiger Mühlen beitrugen, beweisen folgende Beispiele: Die Holländerwindmühle von Pabstorf (Gemeinde Huy) unweit der Magdeburger Börde wurde 1980 gesprengt und beseitigt, weil die stillgelegte Mühle potentiellen „Grenzverletzern“ als Unterschlupf hätte dienen können. Die Klippmühle bei Weferlingen wurde 1961 abgebrochen, der so entstandene Bauschutt in den Mühlteich geschoben und die Familie mit Geld abgefunden, weil die Mühle wegen der Verminung der Grenze möglicherweise im „Splitterbereich“ gelegen hätte.

Im damaligen Landkreis Schönebeck, dem nördlichen Teil des heutigen Salzlandkreises, konnte man in den 1970er Jahren noch 14 Windmühlen zählen, von denen zwei noch betrieben wurden (die Mühle Jäger bei Brumby und die Mühle Falcke bei Barby). Die ehemalige Mühle Kränzlin bei Breitenhagen und die Mühle Berger in Pömmelte wurden von den Eigentümern mit hohem persönlichen Aufwand instandgehalten, weiterhin zwei gemauerte Mühlentürme bei Schönebeck (einer davon heute im Verfall) und einer bei Groß Rosenburg. Eine Bockwindmühle wurde aus einem anderen Landkreis nach Klein Mühlingen an einen historischen Standort umgesetzt. Alle anderen Mühlen, davon sieben weitere Bockwindmühlen, befanden sich im Verfall oder waren bereits Ruinen. Heute sind hiervon noch ganze neun Exemplare erhalten, davon vier Mühlentürme ohne Kappe und ohne Technik. Auch an anderer Stelle in der Börde sieht es vielfach nicht anders aus. Meist blieb nur noch ein großer Haufen Holz übrig, aus dem oftmals noch Hausbaum, Flügelreste und Kammräder hervorragten (Bilder 6 und 7).

In den 1980er Jahren wurden aber z. B. die Trog‘sche Mühle bei Ottleben und die Mühle Kuthe bei Groß Rodensleben windgängig restauriert. Und es gab Enthusiasten, die mit der Müllerei zwar nicht vertraut waren, aber den Verfall mancher Mühle nicht mit ansehen konnten und selbst Hand anlegten. Bei einer Umnutzung zu einem Wohnhaus büßte so manche Mühle leider die Inneneinrichtung ein, blieb aber zumindest als Baukörper für das Landschaftsbild erhalten.

Bei einer Nutzung als Ferien- oder Wochenendhaus konnte manchmal ein Großteil der mühlentechnischen Einrichtung erhalten werden und mit etwas Geschick und Sinn fürs Außergewöhnliche wurden die Müllereimaschinen in die Gestaltung derartiger „Freizeitmühlen“ integriert. Mühlenfreund Manfred Ulrich, damals in Magdeburg als Baumaschinist beschäftigt, baute sogar eine Bockwindmühle in Drackenstedt (Börde) ab und zwischen den Ortschaften Hohenwarthe und Lostau (Jerichower Land) wieder auf (Bilder 8 und 9). Sie ist seit 1985 von der A2 Hannover-Berlin kurz hinter Elbbrücke und Wasserstraßenkreuz zu sehen. Bild 10 zeigt die Bockwindmühle bei Eimersleben am nordwestlichen Rand der Börde, die von ihrem mühlenbegeisterten Eigentümer Wilfried Schmidt Mitte der 1980er Jahre instandgesetzt wurde. Das Bild in seinen Händen zeigt den Vorzustand seiner Mühle im Jahr 1984.

Die neuen Möglichkeiten nach der politischen Wende wie auch Fördermaßnahmen durch die öffentliche Hand (Denkmalbehörden des Landes und der Landkreise, Dorferneuerungsprogramme, Maßnahmen des Arbeitsamtes usw.) ermöglichten mitunter die Erhaltung bzw. Restaurierung völlig desolater Mühlen bis hin zum Neuaufbau (Bilder 11 und 12).

Neue Mühlenvereine wurden ins Leben gerufen, die sich seitdem liebevoll um die ihnen anvertrauten Mühlen kümmern. Ruinen, bei denen keine Restaurierung derzeit möglich ist, sollten aber zumindest dokumentiert und erfasst werden, denn die Zeit drängt. Anfang der 1980er Jahre konnte man in der Börde noch 52 Exemplare (36 Windböcke, 4 Paltrockmühlen und 12 Kappenwindmühlen) in unterschiedlichem Erhaltungszustand zahlen, heute sind davon noch insgesamt 35 Exemplare erhalten.

Literatur

[1] Hertel, G., Sommer, G.: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Calbe, Verlag Otto Hendel, Halle 1885.

[2] Wagenbreth, O., Düntzsch, H., Tschiersch, R., Wächtler, E.: Mühlen, Geschichte der Getreidemühlen, Technische Denkmale in Mittel- und Ostdeutschland, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig und Stuttgart 1994.

[3] Neitzel, T., Lander, S., Bergmann, H. (Federführung): Mühlenland Sachsen-Anhalt, Teil 7, Die Paltrockwindmühle Parey – oder: Von abenteuerlichen Mühlenwanderungen in unserem Lande, Sachsen-Anhalt Journal für Natur- und Heimatfreunde 26 (2016), 1, 8 – 11.