Die Wandlungen von Schäfertanz und Schäferfest im Mansfelder Land

Lutz Wille | Ausgabe 1-2022 | Lebendiges Kulturerbe | Volkskunde

Abb. 1: Das Lied vom Schäfer und Edelmann. Archiv L. Wille
Abb. 2: Der Braunschwender Schäfertanz, aufgezeichnet 1974 in Wippra. Archiv L. Wille
Abb. 3: Die Schafmeister Otto Maiberg (li.) und Ernst Lichtenfeld (re) aus Wegeleben bei Halberstadt. Archiv L. Wille

Der Schäfer putze sich zum Tanz
mit bunter Jacke, Band und Kranz,
so zog er hin mit frohem Sinn
mit ihm die schöne Schäferin,
ins Mansfeld-Land gehen beide auch
zum Schäfertanz nach altem Brauch.
(Vers auf der Einladung zum Schäfertreffen 1956)

In Württemberg gibt es noch eine lebendige Brauchkultur der Schäfer. So werden jährlich in Heidenheim, Markgröningen, Bad Urach, Wildberg und anderen Orten Schäferfeste ausgerichtet, deren Anfänge Jahrhunderte zurückreichen. Die dortigen Schäferläufe wurden 2018 von der Deutschen UNESCO­Kommission in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.[1]

Diese Kulturtradition ist im Harzvorland, speziell im Mansfelder Land, verlorengegangen, obwohl es bis ins 20. Jahrhundert eine bedeutende Schäferei gab, welche auch heute noch ausgeübt wird. Doch haben sich Berichte und Erinnerungen an die einstigen Zusammenkünfte der Schäfer erhalten.

So berichtet das Eisleber Tageblatt 1936:

„Einer der beliebtesten Volkstänze war der Schäfertanz. Ein Hettstedter Chronist erzählt von ihm und von den dabei vorkommenden Ausschreitungen aus der Zeit des Bauernkrieges 1525: Den Schäfertanz gibt es zunächst einmal in einer drolligen Form. Er führt einen Streit des Edelmanns mit dem Schäfer wegen unbefugter Augenweide des letzteren an des Edelmanns Tochter in langen Wechselgesängen vor, wobei der Hund des Schäfers, ein mit Strohohren und Strohschwanz gezierter Bursch, der auf allen Vieren läuft, viel Unfug treibt, dabei oft an den tragischsten Stellen des Streites die Sache ins Lächerliche ziehend.“[2]

Die Tanzballade vom Schäfer und Edelmann, welche früher über ganz Deutschland mit verschiedenen Melodien und Strophen verbreitet war, ist ein Nachhall an diesen lustigen, aber auch sozialkritischen Tanz.[3] Aufgezeichnet werden konnte sie 1938 auch in Emmeringen / Börde[4] und Klein Schöppenstedt / Niedersachsen (Abb. 1). Dort wurde das Dialoglied zu besonderen Anlässen von den Knechten des Dorfs dramatisch aufgeführt. Seine szenische Gestaltung ist auch aus Mecklenburg­Vorpommern und aus Schleswig­Holstein bekannt: Verkleidet treten der Edelmann und der Schäfer mit seinem „Hund“ auf, gespielt von einem einfallsreichen Darsteller. Ihren Zwiegesang begleiten sie mit entsprechenden Gesten. Der „Hund“ greift den Edelmann an, pinkelt ihm ans Bein oder trägt mit seinen Kapriolen zur Erheiterung der Spieler und der Zuschauer bei! Letztere bilden um die drei Spieler einen Kreis, der sich auch mit Seitschritten „vorwärts“ bewegen kann.[5]

In manchen Regionen zählten die Schäfer bis über das 16. Jahrhundert hinaus zu den „unehrlichen (rechtlosen) Leuten“, so auch in Sachsen und Kurbrandenburg.[6] Sie waren vom ehrbaren Innungswesen ausgeschlossen und es wurde ihnen erschwert, Zusammenschlüsse zu bilden. Doch schon 1516 ist eine Brüderschaft der Hirten und Schäfer bei der Klus vor Halberstadt nachweisbar.[7]

Die Genossenschaften der Schäfer waren deshalb bestrebt, wie andere Handwerksverbände, z. B. die Kesselflicker, vom Landesherrn das Recht zum alljährlichen öffentlichen Tanz zu erlangen und waren stolz darauf, wenn ihnen dies gelang.[8] Nur Berufsangehörige durften daran teilnehmen. Fremde, die sich einschlichen, wurden in Thüringen festgesetzt und mussten ein Lösegeld zahlen.

Aus dem Eisleber Tageblatt erfahren wir weiter: Kulturgeschichtlich bedeutend ist der Schäfertanz, der als eine Art berufliches Volksfest der Schäfer in der Grafschaft Mansfeld erst am Margaretentage (Mitte Juli), dann am Laurentiustage (1. Augustdrittel), endlich im Spätherbst begangen wurde. Das Fest wurde in einem der kleinen Städte (z. B. in Schraplau, Gerbstedt, Allleben) oder auch in einem größeren Dorf begangen, die Schafzucht war in der Grafschaft Mansfeld früher sehr bedeutend…

In der ersten Schilderung von 1735 heißt es: „…Auf vorheriges Ausschreiben des Schraplauer Schäfers kommen bei 60 und mehr Schäfer von den benachbarten Orten, z. T. mit ihren Mädchen, in dieser Stadt zusammen, um, wenn sie vorher in einem besonderen Aufzug, dem Beamten (wahrscheinlich dem Amtmann) einen guten Widder, mit Bändern und vergoldeten Hörnern verziert, überreicht haben, auf dem Markt und in den dazu errichteten Schranken zu tanzen, wobei die Vortänzer jedesmal einen blanken Säbel zu führen pflegen. Mit solcher Kurzweil vergeht fast die ganze Woche; es wird aber kein Schafknecht von solchen Orten, wo Schmiervieh ist, zugelassen. Dieser den Herren der Schäfer nicht sehr willkommene Tanz (da sie unterdessen mit anderen Leuten haus halten müssen) war einige Zeit wegen eines dabei verübten Totschlages verboten worden, wurde aber ums Jahr 1717 wieder angestellt.“

Ausführlicher, lebendiger und ins Einzelne gehend ist folgende Beschreibung um 1835: „Auf dem Markt (der Ort ist nicht genannt, wahrscheinlich Gerbstedt), wurde eine Fichte nebst kleinen Tannen und Birken angefahren und ein 20 – 30 Schritte langer und breiter Kreis angelegt, in dessen Mitte man die am Gipfel mit seidenen Bändern und Tüchern geschmückte Fichte aufstellte… Am Morgen des Festtages versammelten sich alle Schäfer aus den benachbarten Aemtern in der Schäferei bei der Stadt. Nach 10 Uhr begann der feierliche Zug: Voran der älteste Schäfer mit bloßem Säbel, dann sechs oder mehr Musikanten mit Schalmeien und einem Dudelsack hinter diesen wieder zwei Schäfer und der mit vielen seidenen Bändern und Futterkränzen geputzte fette Hammel, von einem Schäfer an einem langen, mit messingenen Platten verzierten Riemen geleitet. Diesem folgte der ganze, oft aus 50 bis 60 Schäfern bestehende Zug, paarweise, die Schäferstäbe hoch auf der rechten Schulter tragend. Abwechselnd wurden verschiedene Schäferstückchen geblasen, wobei sämtliche Schäfer auf den Fingern pfiffen. War man in dieser Ordnung zum Platz gelangt, so wurde der Hammel drei Mal unter Musik und Begleitung sämtlicher Schäfer um die Fichte geführt, an der sein Führer mit ihm haltmachen mußte.

Jetzt begann ein feierlicher Tanz, den der älteste Schäfer mit dem Säbel in der Hand aufführte. Seine Wendungen und Bewegungen ahmten  alle anderen mit ihren Stäben nach, und zwar so, daß sich die Glieder trennten und jeder einzelne hinter dem anderen nachhüpfte, wobei man es einzurichten wußte, daß der erste und älteste Schäfer den letzten und jüngsten berührte und

ihm seine Nähe etwas unsanft auf dem Rücken mit dem Säbel zu erkennen gab. Dieses Beispiel befolgte ein jeder der übrigen bei seinem Vorgänger und ließ auch ihn den Stab fühlen. Im Schloßhof, wohin man etwa nach einer Viertelstunde aufbrach, wie vor der Wohnung des Pächters, der den schon ziemlich Ermatteten Bier zur Erfrischung reichen ließ, wurde der Tanz wiederholt und diesem, dem Amtmann, der Hammel als Geschenk überwiesen. Man kehrte nun wieder auf den Platz und in die hier errichtete, geräumige Hütte zurück, worauf sich einer nach dem anderen zum Mittagessen verlor. Nachmittags fanden sich die Weiber und Töchter der Hirten ein, um sich mit den gebräuchlichen deutschen Tänzen zu belustigen. Bei ungünstiger Witterung, die jedoch die Aufzüge im Freien nicht hinderte, geschah dies im Zelt oder in einem Saal.

Die ganze Festlichkeit wurde gewöhnlich schon am nächsten Dienstagnachmittag durch Wiederholung des ersten Schlangentanzes beschlossen, wobei der mit einem scharfen Beil versehene Vortänzer der Fichte, so oft er ihr nahekam, einen Hieb versetzte, die anderen Schäfer aber mit dem Säbel und Stab die kleinen Bäume niederzureißen suchten. Beim Fall der Fichte hörte der Tanz auf. Der Schäfer, der als der beste Springer galt, stellte sich nun mit dem geschmückten Baumgipfel in einer Entfernung von etwa 15 Schritten vor die erste Reihe der Kameraden, und wem von den übrigen es gelang, ihm diese Spitze beim Wettlauf durch bestimmte Gassen bis wieder zum Stamm jenes Baumes abzugewinnen, dem erkannte man Bänder und Tücher als Preis seiner Schnelligkeit zu. Wurde der erste aber nicht eingeholt, so fiel der Baumschmuck an ihn.“[9]

Bemerkenswert ist, dass diese urtümliche Form des Schäfertanzes auch aus Thüringen bekannt ist. Die Beschreibungen aus Stadtilm und aus Blankenhain haben eine sehr große Ähnlichkeit und belegen die engen Verbindungen zwischen den beiden Landschaften.[10] In Thüringen wurden die Schäfertänze um 1800 aufgegeben. Im Mansfelder Land erfolgte hingegen ein Wandlungsprozess (s. u.), während in Süddeutschland um 1920 eine bewusste Wiederaufnahme der Tradition einsetzte. Da von den einstigen Schäfertänzen nichts mehr bekannt war, erfolgte bei Anknüpfung an volkstümliche Kontratänze eine freie choreographische Gestaltung als Schau­ und Figurentanz mit Liedeinlagen.

Von den Tanzmelodien zu den beschriebenen Schäfertänzen hat sich kaum etwas erhalten. Lediglich in Braunschwende, am östlichen Harzrand gelegen (heute Ortsteil der Stadt Mansfeld), konnte 1920 noch ein Schäfertanz aufgezeichnet werden. Er wurde als Solo von einem Schäfer mit einer Bäuerin getanzt, doch ist seine Choreographie nicht bekannt (Abb. 2).

Noch 1956 gab es Bemühungen, die Traditionen des Schäferberufs zu pflegen und zu bewahren. So wies das Schäferfest, das am 12. Mai in Lüttchenrode bei Eisleben stattfand, folgende Programmfolge auf:

Festessen (während dieser Zeit Konzert eines verstärkten Blasorchesters)
Schäferweisen (gesungen von jungen Schäferinnen)
Schäferreigen (nach alter Art)
Birkenblättchen (gespielt von Schäfern)
Was den Schäfer lustig macht (Mundartgeschichten und Erzählungen)
Tanz und Frohsinn ohne Ende

Dabei wurden von einer jungen Kulturgruppe, nicht von Schäferinnen, eine beachtliche Zahl von Schäferliedern vorgetragen, bekannte und weniger bekannte wie „Des Schäfers Sonntagslied“, „Schäfers Klagelied“, „Ich will ein Schäfer sein“ und „Gar lustig ist die Schäferei“. Bereits bei dem angekündigten Schäferreigen wurde deutlich, alte Tanzformen waren inzwischen verloren gegangen, denn es handelt sich lediglich um eine Schäferpolonaise, welche jedoch ein farbenfrohes Bild bot, denn alle Schäfer trugen ihre vollständige Berufstracht. Höhepunkt der Veranstaltung war zweifellos das Blasen auf dem Birkenblatt. Leider war auch hier ein Rückgang dieser Musizierpraxis festzustellen. Zwar konnten noch eine Reihe von Schäfern diese Schäfermusik auf den Birkenblatt leidlich blasen, gut wurde es aber nur noch von drei Schafmeistern beherrscht. Die letzten Birkenblattvirtuosen waren die Schafmeister Ernst Lichtenfeld und Otto Maiberg aus Wegeleben (Abb. 3) und der Schäfer Willi Vesterling aus Langeln. Jungschäfer konnten das Birkenblatt überhaupt nicht mehr spielen. Heute wird das Birkenblattblasen nur noch von etwa 25 Folkloristen in den Heimatgruppen des Harzes beherrscht – der Harz ist das einzige Rückzugsgebiet im deutschsprachigen Raum.[11] Der Programmpunkt „Was den Schäfer lustig macht“ wurde nicht ausgeführt, weil offensichtlich Schäfererzählungen fehlten.[12]

Von 1999 bis 2014 fand das jährliche Schäferfest auf der Burg in Freckleben statt, veranstaltet vom Schäferverein „Harzer Land“. Dabei ging die Entwicklung hin zu einem familiären Heimatfest touristischer Prägung ohne traditionelle Brauchelemente des Schäferberufs, wie das Programm des 16. Schäferfests am 1. Mai 2014 ausweist:

9.30 Uhr – Schäfertrunk – Frühschoppen mit argentinischer, irischer und deutscher Musik
ab 10.00 Uhr – Schafwollwettspinnen und Fußballturnier
ab 11.00 Uhr Hirtenmahl – Lamm am Spieß und vieles mehr
13.00 Uhr Siegerehrung Spinnwettbewerb und Fußballturnier
13.30 Uhr Männerchor Freckleben
15.00 Uhr gemütliches Schäferstündchen bei Kaffee und hausgebackenem Kuchen

Ferner:

– Bauernmarkt
– Schafschur
– kleine Rassenschau
– Kinderspielprogramm

Diese knappe Darstellung soll anregen zu eingehenderen Recherchen über die historische Alltagskultur der Schäfer in Sachsen­Anhalt. Forschungsgegenstadt könnten die alten Tänze, die Berufssprache der Schäfer und ihre ursprünglichen Feste sowie Erzählungen über ihre Alltagskultur sein.

[1] https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/schaeferlauf; abgerufen am 20. 9. 2021.

[2] B. W.: Von den Volkstänzen im Mansfelder Land. Eisleber Tageblatt, Beilage v. 6. 11. 1936, S. 125 – 128.

[3] Erk, Ludwig/Böhme, Franz: Deutscher Liederhort. 2. Aufl., Leipzig 1925, I. Bd., S. 158.

[4] Mitteilung und Liedaufzeichnung stammen von Lehrer Prinz/Oschersleben 1938. Archiv L. Wille.

[5] Bezirk Oberbayern – Zentrum für Volksmusik, Literatur und Popularmusik: http://www.volksmusik-archiv.de/vma/node/1614; abgerufen am 26.9.2021.

[6] Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII; Lizenzausgabe für die WBG. Stuttgart o. J., S. 1216.

[7] Danneil, F.: Die Brüderschaft der Hirten und Schäfer bei der Klus vor Halberstadt. 1516. In: ZHV, 7. Jg. 1874, S. 267 – 272.

[8] Hornberger, Theodor: Der Schäfer. Landes- und volkskundliche Bedeutung eines Berufsstandes in Süddeutschland. Stuttgart 1955, S. 145 – 146.

[9] B. W. a. a. O.

[10] Hornberger a. a. O., S. 131 – 135.

[11] Wille, Lutz: Zur Situation des Birkenblattblasens im Harzgebiet. In: Sachsen-Anhalt-Journal, Bd. 26 (2016), 2, S. 8 – 10.

[12] Wille, Louis: Bericht über das Mansfelder Schäfertreffen 1956: In: Schrammek, Winfried: Über das Birkenblattblasen im Harz. Halle 2010, S. 46 – 48.