Erinnerungskultur und Engagement am Grünen Band – Die Entwicklung eines Digitalen Besucher:innenzentrums beim Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V.
Hauke Heidenreich | Ausgabe 2-2022 | Bürgerschaftliches Engagement | Geschichte | Kulturlandschaft
Zur (Vor-)Geschichte des Grünen Bandes
Die Geschichte des Grünen Bandes beginnt nach dem Mauerfall 1989 und den Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt im Gebiet der ehemaligen Grenze zwischen DDR und BRD. Doch die Geschichte der Grenze, die dem Grünen Band seinen Verlauf vorgibt, ist bekanntlich älter, und bis heute streiten sich Historikerinnen und Historiker, welche historische Zeit als entscheidende Weichenstellung zur Entstehung dieser Grenze gesehen werden sollte. Bei den Reichstagwahlen im März 1933 wurde die NSDAP zur stärksten Kraft im Parlament. Am 31. Januar 1933 bekam Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg das Amt des Reichskanzlers übertragen. Bereits im April 1933 wurde das sog. „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, das Jüdinnen und Juden aus der Beamtenschaft und dem öffentlichen Dienst weitgehend ausschloss. 1935 folgten die Nürnberger Gesetze. Ab September 1939 führte das Deutsche Reich einen rassistisch motivierten Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen seine europäischen Nachbarn, insbesondere in Osteuropa. Vor allem seit Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion ermordeten Wehrmacht und Erschießungskommandos Millionen Menschen, die als sog. „minderwertiges Leben“ galten. Zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Deutschen ließen die Verantwortlichen des Feldzuges in Politik, Militär und Wirtschaft die Bevölkerung Osteuropas sowie auch viele Kriegsgefangene der Roten Armee planmäßig (ver-)hungern. Die Ressourcen der besetzten Länder sollten, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung der Länder, zur Ernährung der „Heimatfront“ dienen. In der deutschen Industrie arbeiteten Millionen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Auf der Wannsee-Konferenz wurde 1942 zudem die Vernichtung der Jüdinnen und Juden Europas beschlossen. Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht schließlich bedingungslos vor den Alliierten.[1]
Wie zwischen den Siegermächten ausgehandelt, wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt. 1949 entstand aus den drei westlichen Besatzungszonen die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Im Frühjahr 1952 bot Stalin den Westalliierten die Möglichkeit eines wiedervereinigten Deutschlands an unter der Bedingung, dass Deutschland neutral sein müsse. Diese sog. „Stalin-Note“ wurde im Mai 1952 von den Westmächten abgelehnt und mit der BRD der Deutschlandvertrag geschlossen, der die staatliche Souveränität Westdeutschlands garantierte. Daraufhin beschloss auf Betreiben der Sowjetunion der Ministerrat der DDR am 26. Mai 1952 die Sicherung der Grenze. Infolgedessen wurde die DDR-Grenze befestigt und im Laufe des Sommers als politisch unzuverlässig geltende Menschen aus dem Grenzbereich zwangsausgesiedelt.
Anfangs nur teilweise mit Stacheldraht ausgestattet, wurde die Grenze im Laufe der Zeit zu einem hochkomplexen Sicherungssystem mit Wachtürmen, Metallzäunen, Selbstschussanlagen, Minen, Signalzäunen und Hundelauftrassen ausgebaut. Die vielerorts noch vorhandenen Kolonnenwege weisen auf die einstige Geschlossenheit der Grenze hin. Bei grenznahen Orten wie Oebisfelde, Böckwitz oder Hötensleben wurde der Metallzaun durch eine Betonmauer, ähnlich der Berliner Mauer, verstärkt. Bis 1989 bildete diese offiziell als „antifaschistischer Schutzwall“ deklarierte Grenze ein nahezu unüberwindliches Hindernis. Nichtsdestotrotz versuchten immer wieder v. a. DDR-Bürgerinnen und -bürger diese Grenze zu überwinden, um dem politischen System der DDR zu entfliehen. Über 200 Personen verloren dabei ihr Leben.[2]
Die Grenze zu unterhalten war ein beträchtlicher wirtschaftlicher Aufwand für die chronisch an Devisen schwache DDR. Devisenbeschaffungsmaßnahmen wie etwa das Transitabkommen mit der BRD vom 17. Dezember 1971 oder die 1983 von Franz Josef Strauß lancierten Milliardenkredite für die DDR waren daher auch Praktiken, die das politische System der DDR stützten.
Nach der Grenzöffnung trafen sich auf Betreiben des westdeutschen BUND-Mitarbeiters Kai Frobel 1989 ost- und westdeutsche Umweltschützer. Durch die Abriegelung der Grenze hatten sich im Gebiet des Todesstreifens Pflanzen- und Tierarten entwickeln können, die im restlichen Deutschland schon verschwunden waren. Es wurde daher beschlossen, das Gebiet der ehemaligen DDR-Grenze als Naturschutzgebiet auszuweisen, um diesen Arten einen Rückzugsort zu erhalten. Ergebnis dieser Bestrebungen ist das Grüne Band, das als europaweites Projekt die Sicherung bedrohter Arten gewährleisten und gleichzeitig an die europäische und globale Geschichte des Kalten Krieges erinnern soll.
Erinnerungskultur und Engagement
2019 wurde mit Beschluss des Grünes-Band-Gesetzes in Sachsen-Anhalt eine landesweite politische Grundlage verabschiedet, in der das Grüne Band ausdrücklich als Ort der Erinnerungspolitik und des Umweltschutzes erkannt wurde. Das Grüne Band in Sachsen-Anhalt wurde zudem als Nationales Naturmonument ausgewiesen, in dem die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte mit Anforderungen des Artenschutzes im Rahmen einer Kulturlandschaft zusammengedacht werden soll. Als Nationales Naturmonument gelten Gebiete aufgrund ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit und ihrer wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen, kulturhistorischen oder landeskundlichen Besonderheit.[3] Den Anfang machte 2018 das Land Thüringen mit einem eigenen Gesetz, im April 2022 folgte Brandenburg.[4]
Bereits seit der Nachwendezeit engagieren sich eine Vielzahl von Vereinen, Initiativen und Privatpersonen in der Sichtbarmachung der Geschichte und dem Erhalt der Umwelt im ehemaligen Grenzgebiet in Sachsen-Anhalt. Mehrere Vereine, etwa der Verein in Oebisfelde[5], gründeten darüber hinaus Museen, in denen Grenzausstellungen über das Leben im Grenzgebiet, aber auch über die allgemeine Struktur des Grenzregimes in der DDR informieren. Auch veranstalten die Vereine, häufig in Kooperation mit der Stiftung Umwelt-, Natur- und Klimaschutz (SUNK) und der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, eigene Grenzwanderungen und -touren, die den Einfluss der ehemaligen Grenze auf Kultur und Natur aufdecken und anhand erhaltener Denkmäler und Umwelträume anschaulich darstellen. Auch die Pflege erhaltener Grenzdenkmäler, Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Projekte mit Schulklassen und weitere Aktivitäten stehen im Zentrum der Vereinsarbeit. Dieses vielfältige Engagement ist bis jetzt nicht ausreichend im Fokus der Öffentlichkeit angekommen. Deshalb stellte bisher der Umgang mit diesem bedeutsamen Streifen Land einen großen Widerspruch dar: Viele Menschen in Sachsen-Anhalt zeigen ein großes Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte der DDR, dem Erhalt der Umwelt und der Arbeit ehrenamtlicher Akteure, kennen aber das Grüne Band selbst nicht. Um genau dieses Dreigespann (Geschichte, Umwelt, Erinnerungspolitik), dass das Grüne Band als Kulturlandschaft auszeichnet, zu vernetzen und zu vereinheitlichen, ist mit Förderung durch die Staatskanzlei bzw. das Ministerium für Kultur ein Projekt beim Landesheimatbund entstanden.
Das Hauptziel des Projektes ist die Erstellung eines Digitalen Besucher:innenzentrums in Form eines Multimediaportals, das das Grüne Band als ein allen zugängliches Freiluftmuseum versteht.
Das Digitale Besucher:innenzentrum wird alle Vereine, Initiativen und Personen vorstellen, die am Grünen Band wirken oder gewirkt haben. Es wird anhand einer Verlaufskarte der ehemaligen Grenze die noch erhaltenen Grenzdenkmale (Türme, Zaun- oder Mauerreste sowie Gedenksteine), aber auch Museen, Gedenkstätten, Erinnerungsorte und naturräumliche Besonderheiten (Naturschutzgebiete, Biosphärenreservate, seltene Arten, etc.) erfassen und einem breiten Publikum zugänglich machen. Dabei wird für das geplante Portal eine Darstellung gewählt, die im Sinne einer neverending story, einer niemals endenden Geschichte, ständig aktualisiert werden wird. Die Arbeit am Grünen Band soll in ihrer Dynamik erfasst, aber auch zu Zwecken des sanften Tourismus aktuell dargestellt werden. Um dies zu gewährleisten, wird die nachhaltige Redaktion der Seite vonseiten der Mitarbeitenden des LHB absolut notwendig sein, etwa um auch den für die Seite geplanten Newsfeed auf dem neuesten Stand zu halten, in dem aktuelle Meldungen wie Veranstaltungshinweise (Grenzwanderungen, Vorträge, Buchpräsentationen, Konzerte) betreffs des Grünen Bandes angezeigt werden. Zudem wird die Geschichte wichtiger Orte mittels Zeitstrahlen visualisiert, an denen die Entwicklung historischer Landmarken in der Zeit nachvollzogen werden kann. Angestrebt ist hierbei eine enge Zusammenarbeit nicht nur mit den Vereinen vor Ort, sondern auch mit den Behörden und Vereinen auf Landesebene (SUNK, Stiftung Gedenkstätten, Institut für Landesgeschichte, Landeszentrale für politische Bildung, BUND, usw.), v. a. was die Beschaffung von Quellenmaterial und Zeitzeug:inneninterviews angeht. Ein Hauptaugenmerk wird auf die multimediale Gestaltung des Portals gelegt.
Ende dieses Jahres wird eine erste Version der Webseite öffentlich einsehbar sein. Zu diesem Zweck wurde in einem Ausschreibungsverfahren Anfang 2022 die Leipziger Agentur Knick Design als Partnerin gewonnen. Zudem werden auch im nächsten Jahr wieder Netzwerktreffen stattfinden, um die Vereine und Initiativen weiterhin miteinander im Gespräch zu halten. Gerade, was die ständige Aktualisierung und Versorgung mit Inhalten des Webportals betrifft, ist eine regelmäßige Zusammenarbeit, etwa in Form eines Ständigen Gesprächs, unabdingbar.
„Neverending story“ statt „Ende der Geschichte“
Die ehemalige Grenze der DDR prägt nicht nur bis heute das historische Selbstverständnis der Menschen vor Ort, längst ist der Umgang damit auch international von Interesse.[6] Das von US-Historiker Francis Fukuyama Anfang der 1990er verkündete „Ende der Geschichte“ ist offensichtlich nicht eingetreten. Die Geschichte der DDR kann, auch 30 Jahre nach ihrem Ende, mitnichten als überstanden oder bewältigt aufgefasst werden. Bis heute kämpfen etwa die Nachfahren von zwangsausgesiedelten Personen um Rehabilitierung.[7] Migrantische oder jüdische Ostdeutsche bemühen sich um die Anerkennung ihrer Lebensgeschichten als Teil der DDR-Geschichte.[8] Viele Geschichten sind in den gängigen Erzählungen zur DDR nach wie vor unterrepräsentiert, v. a. auch, weil ihnen eine entsprechende Öffentlichkeit verwehrt wurde. Das entstehende Digitale Besucher:innenzentrum zum Grünen Band soll eine solche Öffentlichkeit sein.
Anmerkungen:
[1] Zu diesen Themen vgl. Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007. Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941 bis 1944, Hamburg 1999. Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt (Main), 2013.
[2] Klaus Schroeder/Jochen Staadt (Hg.): Die Todesopfer des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze 1949-1989. Ein biografisches Handbuch, Bonn 2018. Sowie Jürgen Ritter/Peter Joachim Lapp: Die Grenze. Ein deutsches Bauwerk, Berlin 1998.
[3] Vgl. https://www.bfn.de/nationale-naturmonumente
[4] https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/umwelt/natur/gruenes-band/
[5] Siehe Beitrag von Ulrich Pettke in diesem Heft.
[6] https://www.goslarsche.de/lokales/region_artikel,-son-gi-woong-ein-fachmann-f%C3%BCr-wiedervereinigungen-_arid,2283676.html
[7] https://www.uokg.de/2022/03/aktion-ungeziefer-70-jahre-zwangsaussiedlungenan-der-innerdeutschen-grenze/
[8] Vgl. die Beiträge aus Lydia Lierke/Massimo Perinelli (Hg.): Erinnern stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive, Berlin 2020.