Erst 900 Jahre Eisdorf?

Neue Überlegungen zur Ersterwähnung des Ortes

Mike Leske | Ausgabe 3-2022 | Geschichte

Die Güter des Klosters Wimmelburg lt. der Urkunde von 1121 in der Reihenfolge ihrer Erwähnung (nach M. Leske). Die als „Eisleber Gruppe“ zusammengefassten Siedlungsnamen konnten die Abfolge von Güternennungen einer der Besitzbestätigung vorausgegangenen Originalurkunde widerspiegeln. Karte: Anna Swieder, Halle.
Die Siedlungsnamen (soweit identifiziert) der Kolumne 8 des Hersfelder Zehntverzeichnisses in der Abfolge ihrer Erwähnung (nach M. Beitz). Karte: Anna Swieder, Halle.

Unter dem Titel „Erst 900 Jahre Eisdorf ? Ein Ortsjubiläum und die schwierige Suche nach der zugrundeliegenden Ersterwähnung“ wurde 2021 erstmals der Versuch gewagt, die vermeintlich früheste urkundliche Nennung des seit 1950 zu Teutschenthal (Saalekreis) gehörenden Ortsteils genauer zu untersuchen. Anlass war das 900. Ortsjubiläum, welches sich auf ein Güterverzeichnis des Klosters Wimmelburg (Mansfeld-Südharz) von 1121 bezieht, in dem der Ort nach einhelliger Forschungsauffassung erstmals als Hisdorph in Erscheinung tritt. Bereits kurz nach der Veröffentlichung des in Rede stehenden Beitrags kam es zu einem äußerst inspirierenden fachlichen Austausch mit dem Heimatforscher Martin Beitz. Von dessen Anregungen angetrieben und nicht zuletzt dank eines pandemiebedingten einjährigen Aufschubs der Feierlichkeiten ergab sich eine noch intensivere Auseinandersetzung mit dem mutmaßlichen Ersterwähnungsdokument. Trotz weitgehend übereinstimmender Meinungen von Heimatforschern und Historikern bestand seitens des Verfassers von Anfang an eine gewisse Skepsis gegenüber der Identifizierung von Hisdorph mit Eisdorf im Saalekreis. Das Hauptargument der Geschichts- und Heimatforschung für diese Deutung lag sicherlich in erster Linie an der Ähnlichkeit des Namens mit dem im selben Schriftzeugnis genannten Hislebo. Nicht zuletzt in Anbetracht der umgebenden Nennungen stellt dieses Toponym zweifellos eine mittelalterliche Variante für Eisleben (Ldkr. Mansfeld-Südharz) dar. Da beide Ortsnamen mit dem Bestimmungswort „His“ beginnen, übertrug man die für Eisleben getroffene Feststellung analog auf Eisdorf. Doch ist diese Schlussfolgerung auch in der Gesamtbetrachtung des Güterverzeichnisses haltbar? Bei der Wimmelburger Urkunde handelt es sich um eine Besitzbestätigung, d.h. Bischof Reinhard (gest. 1123) erneuerte hierin lediglich Güter und Rechte, die in vorangegangenen Zeiten bereits an das Kloster übergegangen waren. Demzufolge gab es also ältere Originalurkunden, die dem Bischof zur Bestätigung nacheinander unterbreitet wurden. Die Reihenfolge der Gütererwähnungen in der Urkunde von 1121 könnte somit die Abfolge der dem Bischof vorgelegten Schriftstücke widerspiegeln. Von dieser Annahme ausgehend, würden sich auch die geographischen Sprünge zwischen den einzelnen Orten innerhalb des Wimmelburger Verzeichnisses erklären lassen. So beginnt die Urkunde mit der Nennung von Gütern in Wimmelburg (Wimodeburch) bei Eisleben, um darauf Besitzungen in Schotterey (Scirta regia) bei Bad Lauchstädt zu erwähnen. Es folgt die Aufzählung von Rechten in Aseleben (Aslibe), um dann eine Reihe von Orten aus der Region um Eisleben zu nennen. Über Döcklitz (Teklici), Klobikau (Clobicho) und (Ober-) Kriegstedt (Crikstedi) bewegt sich das Wimmelburger Verzeichnis in der Folge in der Gegend um Bad Lauchstädt, ehe sie mit einer Besitzerwähnung in der Wüstung Stockdorf (Stocdorph) wieder den Sprung in die Umgebung nordwestlich von Eisleben vollzieht. Dass zum Schluss auch noch Besitzungen in Haldeslebe – womit wohl nur das nordwestlich von Magdeburg gelegene Haldensleben (Ldkr. Börde) gemeint sein kann – genannt werden, ist entweder mit einer Verschreibung des Ortsnamens oder als Streubesitz zu begründen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich der Wimmelburger Besitz im Wesentlichen auf die Regionen um Eisleben und Bad Lauchstädt konzentriert.

Die für das Eisdorfer Jubiläum zugrundeliegende Erwähnung von Hisdorph erscheint innerhalb der im Kartenmaterial aus pragmatischen Gründen als „Eisleber Gruppe“ zusammengefassten Konzentration von Gütern in und um die Lutherstadt. Der Abschnitt beginnt mit der nordwestlich von Eisleben gelegenen Wüstung Rossdorf (Rothardesdorph), über Benndorf (Bennendorph) und die Wüstung Kirchendorf (Szarnazandorph). Es folgen Besitzerwähnungen in Eisleben (maiori Hislebo) und der Wüstung Klein Eisleben (minori Hislebo). Die darauffolgende Nennung von Risdorph wird von der Geschichtswissenschaft unbestritten mit Oberrißdorf (Ortsteil der Lutherstadt Eisleben, Ldkr. Mansfeld-Südharz) identifiziert. Hieran schließt sich das zur Diskussion stehende Hisdorph an. Die Abfolge der zuvor genannten Ortsnamen vermittelt den Eindruck, dass die mittelalterlichen Autoren beim Verfassen der Besitzverzeichnisse einer gewissen Struktur folgten. Naheliegend wäre dabei die Wahl einer geographischen Ordnung der besitzenden Ländereien. Vor diesem Hintergrund bietet die Tatsache, dass sich unweit südlich von Oberrißdorf der Ort Unterrißdorf (ebenfalls Ortsteil der Lutherstadt Eisleben) anschließt, den Ausgangspunkt zu völlig neuen Überlegungen und die Möglichkeit einer gänzlich anderen Namenszuweisung: Könnten sich hinter den Erwähnungen von Risdorph und Hisdorph nicht die beiden heutigen Rißdorf-Orte verbergen? Vielleicht dienten die verschiedenen Anlautformen nur zur Unterscheidung der sonst gleichnamigen und räumlich unmittelbar nebeneinanderliegenden Siedlungen? Ein Schreibfehler oder eine mündlich falsch überlieferte Aussprache des letztgenannten Siedlungsnamens wären ebenfalls nicht auszuschließen, zumal diese Namensform auch in keiner anderen Urkunde belegt ist. Bauliche Zeugen für die Existenz beider Orte bereits im Hochmittelalter sind die jeweiligen Dorfkirchen, die in Teilen auf romanische Vorgänger zurückgehen. Zusätzliche Untermauerung erfährt die Überlegung mit der anschließenden Nennung von Gütern in Helfta (Helpede) in der Wimmelburger Urkunde. Der Eisleber Ortsteil liegt nur wenige Kilometer südwestlich von Unterrißdorf entfernt und fügt sich damit nahtlos in das Bild einer mutmaßlich geographisch orientierten Güteraufzählung. In der Gesamtansicht kristallisiert sich die „Eisleber Gruppe“ als eine von Norden nach Südosten verlaufende Reihung von Besitzerwähnungen innerhalb des Wimmelburger Verzeichnisses heraus. Es ist davon auszugehen, dass sich hier der Umfang eines zugrundeliegenden Originaldokuments abzeichnet. Eine Identifizierung von Hisdorph mit Eisdorf im Saalekreis würde diesem Gesamtbild widersprechen. In Abwägungen der genannten Argumentation und Überlegungen fällt es daher schwer, an dieser Gleichsetzung festzuhalten. Ein Erklärungsversuch als Streubesitz ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, erscheint im genannten Kontext aber nicht mehr ausreichend befriedigend.

Auch die im Aufsatz von 2021 diskutierte Frage, ob eine Eisdorfer Erwähnung nicht vielleicht schon im Hersfelder Zehntverzeichnis zu suchen ist, wurde in Folge des fachlichen Austauschs mit Martin Beitz erneut aufgegriffen Die Besitzliste der Reichsabtei Hersfeld bei Fulda (Hessen) gilt als frühester schriftlicher Nachweis für eine Vielzahl von Ortsnamen in Nordthüringen und dem südlichen Sachsen-Anhalt. Die nicht mehr erhaltene Originalurkunde wird von den meisten Historikern in das ausgehende 9. Jahrhundert datiert. Eine Abschrift aus dem 11. Jahrhundert wird heute im hessischen Staatsarchiv in Marburg aufbewahrt. Bereits die Altforschung brachte die Überlegung ins Spiel, bei dem in Kolumne 8 erscheinenden Risdorpf könne es sich um einen Schreibfehler für Hisdorpf also Eisdorf bei Teutschenthal handeln. Dagegen argumentiert Martin Beitz äußerst plausibel ebenfalls vor dem Hintergrund einer geographischen Abfolge. Da die Risdorpfer Nennung unmittelbar nach der Erwähnung von Lettin (Liudina) erscheint, muss dieser Ort seiner Meinung nach zum Burgward Lettin (Liudineburg) gehört haben. Der Heimatforscher ist sich sicher, dass es sich bei Risdorpf um eine Wüstung zwischen Salza und Saale handelt. Die zuvor genannten Orte Gimritz und Potenitz (beides Wüstungen auf und westl. der Peißnitz-Insel in Halle) finden sich entlang der Saale. Auf Miscauual, bei dem einige Autoren Lieskau favorisieren,[1] folgt Lettin und dann Risdorpf. Eine Wüstung zwischen Lettin und Kröllwitz wird heute Ersdorf genannt. Im 12. Jahrhundert erscheint diese Siedlung als Erikesdorf (1167) bzw. Erikistorp (1182), wobei letztere Nennung auch teils mit Erigstorff wiedergegeben wird. Beitz vermutet, dass sich Risdorpf über Rigsdorpf zu Erigsdorf usw. formte. In der Tat spricht die geographische Lage der Siedlungsnamen, sofern sie als sicher identifiziert gelten, eher für diese Annahme. Nach Martin Beitz beginnt die Abfolge des Abschnitts mit der nicht sicher identifizierten Siedlung Rozuualesdorpf[2]. Über Gimritz und Potenitz setzt sich die Reihe mit Lieskau, Lettin, Uhden (Wüstung zwischen Lettin und Schiepzig), Ersdorf, Überrode (Wüstung bei Salzmünde) fort. Die Kolumne endet mit einigen bisher noch nicht eindeutig zugeordneten Ortsnamen, auf die in Spalte 9 Benkendorf und Köllme folgen. Eisdorf wäre dieser These zufolge also nicht mit Risdorpf zu identifizieren. Nicht zuletzt auch in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Eisdorfer Ortslage inmitten einer feuchten Talniederung ausdehnt, ist von der Annahme einer frühmittelalterlichen Ortsgründung eher Abstand zu halten. Vielmehr spricht die Wahl des Siedlungsplatzes für eine hochmittelalterliche Binnenkolonisation, da die günstiger gelegenen Siedelstellen bereits von den umliegenden älteren Dörfern besetzt waren.

Trotz der Zuordnungsschwierigkeiten hinsichtlich der mittelalterlichen Dokumente kann die Existenz Eisdorfs anhand der romanischen Dorfkirche – aufgrund der typischen Architektursprache – spätestens ab dem 12. Jahrhundert attestiert werden. Eine 900-Jahrfeier des Ortes ist daher auch ohne die letzte Sicherheit einer zugrundeliegenden urkundlichen Erwähnung gerechtfertigt.

 

 

Literatur und Quellen

Landesarchiv Sachsen-Anhalt, U 11 Grafschaft Mansfeld und Herrschaft bzw. Fürstentum Querfurt, A IX ll Wimmelburg Nr. 1.

Max Krühne (Bearb.) 1888, Urkundenbuch der Klöster der Grafschaft Mansfeld. Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete; Bd. 20 (Halle 1888).

Karl Gustav Schmidt (Hrsg.), Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe. Bd. 1: Bis 1236 (Leipzig 1883).

Baron von Meden zu Stettin, Beiträge zur Geschichte des Klosters Wimmelburg. In: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen, Band 3 (Halle 1837).

Christian Zschieschang, Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (Köln 2017).

[1] Christian Zschieschang vermutet dagegen Meuschau bei Merseburg (Zschieschang 2017, S. 31, 49 u. 68).

[2] Erich Neuß vermutet hierin die Wüstung Schwötzschdorf, die sich östlich von Nietleben befand.