Industriekultur in Bewegung – Wandel im Burgenlandkreis

Anik Kompalla | Ausgabe 4-2022

Von links nach rechts: Dr. Jeffrey Weiß (Projektleiter Stabsstelle Strukturwandel BLK), Anik Kompalla (Mitarbeiterin Industriekultur Stabsstelle Strukturwandel BLK), Cornelia Holzhausen (Geschäftsführerin Erholungspark Mondsee). Foto: Matthias Behne, laut wie leise.
Tagebau Profen / Baufeld Domsen – Schaufelradbagger 1511 (Typ SRs 2000) im 1. Abraumschnitt. Foto: Matthias Behne, laut wie leise.
Tagebau Profen / Baufeld Domsen – Eimerkettenbagger 299 (Typ ERs 560). Foto: Matthias Behne, laut wie leise.

Kaum ein anderes Thema hat einen so starken Bezug zu den Arbeits- und Lebenswelten der Menschen im Burgenlandkreis wie die Industriekultur. Während bis vor einiger Zeit lediglich die Traditionen und bestehende Sachzeugen betrachtet wurden, ist nun ein Wandel im Gange. Die Zeugen der Industriekultur werden für Kunst und Kultur, aber auch für die Wirtschaft interessant. Paradoxerweise gibt es Parallelen zur Anfangszeit der Industrialisierung. So wie heute ging es damals um die optimierte Nutzung und Umnutzung bestehender Ressourcen. So gab es beispielsweise zahlreiche Modernisierungen in der Zuckerrübenindustrie wie die Fruchtwechselfolge und die Nachnutzung von Abfallprodukten in der Viehhaltung. Bis heute ist die Herstellung von Zucker am Standort Zeitz mit seinen jüngsten Werkserweiterungen ein zentraler Wirtschaftszweig in der Region.

Heute ist „Industriekultur“ nicht mehr nur ein Thema für Museen und Ausstellungen, sondern stellt einen wichtigen Aspekt von Tourismus, Kunst und Kultur, Identitätsbildung vor Ort und vielem mehr dar. Was der Industriekultur seit jeher innewohnt, nämlich der Geist der Bewegung, ist heute wiederum spürbar und zukunftsträchtiger denn je.

 

(Un)sichtbar

Trotz des aufblühenden Interesses für die Geschichte industriekultureller Strukturen in Sachsen-Anhalt, das sich in den Ausstellungen 1998 bis 2000 im Kraftwerk Vockerode zeigte, schien hier die Zeit noch nicht reif. Auch schien der Begriff „Industriekultur“ zu abstrakt, um für wirtschaftliche und kulturelle Nutzung erfolgreich verwendet zu werden. Andererseits kann man rückblickend durchaus Interesse an einzelnen Maßnahmen feststellen. Als international schlagkräftige Organisation nahm z. B. die Europäische Route der Industriekultur e. V. (ERIH – European Route of Industrial Heritage [1]) einige Standorte Mitteldeutschlands auf, wie zum Beispiel im Jahr 2009 die Brikettfabrik Herrmannschacht in Zeitz. Dass die Sicherungen von Industriestandorten und Industriekulturgut oftmals aus der Bürgerschaft heraus geschahen, zeigt, dass das Thema deren Selbstverständnis und Identität berührt. In der Folge entstanden eine Vielzahl divergenter Formationen und Organisationen, deren Ausrichtungen heute alles andere als deckungsgleich sind. Oftmals im stillen Kämmerlein erdacht und dann in Form von Heimatstuben und kleineren, oft ehrenamtlich betriebenen Museen umgesetzt, werden nun vielerorts persönliche Erfahrungen und Wissen mit allen geteilt, die mehr über die „regionale Gewordenheit“ erfahren wollen. Aber zu viele Bestrebungen hierzu blieben politisch unsichtbar.

 

Wieder Strukturwandel in der Mitte Deutschlands

Mit dem bevorstehenden Ausstieg aus der Braunkohlenverstromung gingen Planungen einher, um negative Folgen dieses Strukturwandels abzuwenden. Es galt, einen nationalen Plan an die regionale und, auf ganz Mitteldeutschland bezogen, überregionale Ebene anzupassen. Wie auch andernorts ist die Braunkohlenindustrie im Burgenlandkreis ein Träger wichtiger Interessen, die bis heute ein zentrales Kapitel der hiesigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung schreiben. Mit der Einrichtung der Stabsstelle „Strukturwandel, Regionalplanung und Breitbandausbau des Burgenlandkreises“ stellt sich der Landkreis seiner verantwortungsvollen Aufgabe. Eines der Ressorts innerhalb der Stabsstelle bemüht sich um die Industriekultur. Hier ist die Autorin tätig. Es gilt, die industriehistorischen Strukturen in der zukünftigen Bergbaufolgelandschaft sichtbar zu machen und deren Entwicklung zu begleiten. Vereine und weitere Organisationen, die Ideengeber für Projekte mit Bezug zur vielfältigen Industriegeschichte sind, bedürfen einer Vernetzung und Koordination. Als Schnittstelle zwischen Landkreis, Gemeinden, Tourismus-, Museums-, und Heimatverbänden sowie der Zivilgesellschaft erzeugt die Stabsstelle Synergien. Nicht zuletzt werden bestehende Veranstaltungs- und Bildungsangebote weiterentwickelt.

 

Die mitteldeutsche Lösung?

Die Bevölkerung des Burgenlandkreises profitiert noch heute von einer Industrielandschaft, die zwar viele Gesichter hat, aber besonders durch den Bergbau geprägt ist. Ganze Generationen sind mit dem hiesigen Bergbau verbunden und haben die reichhaltige industriekulturelle Landschaft mitgestaltet.

Dass die Standorte der Industriekultur nach ihrer Stilllegung meist durch Vereine getragen werden, ist durchaus mit Problemen verbunden. Doch lassen sich auch einige Chancen aufzeigen, wie unter anderem aus der Potenzialstudie Industriekultur der Metropolregion Mitteldeutschland hervorgeht.[2] Der Stabsstelle Strukturwandel fällt hierbei die Aufgabe zu, Lösungsvorschläge aus der Studie in ihrem Netzwerk zu diskutieren und an der Umsetzung dieser Vorschläge mitzuwirken. Es stellt sich folgende Frage: Wie kann Bergbau und Transformation in der Zukunft unserer Gesellschaft nachhaltig erzählt werden?

 

Standorte: Geschichte ist nicht gleich Zukunft

Industrielle Entwicklung war und ist Motor einer Region, auch des Burgenlandkreises. Viele Sachzeugen seiner bewegten Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte machen eine breite Palette erlebbar und sind nachfolgend exemplarisch dargestellt.

Die ZEMAG Zeitz (Zeitzer Eisengießerei- und Maschinenbau- Aktiengesellschaft) war unter anderem für die Herstellung von Baggern, Kränen und weiteren Maschinen vor allem im Bereich der Braunkohlenveredelung bekannt. Aktuell befinden sich die erhaltenen Gebäude in teils nachgenutztem, teils ruinösem Zustand.

Das Museum in der Brikettfabrik Herrmannschacht widmet der regen Unternehmensgeschichte und deren Errungenschaften einen eigenen Ausstellungsbereich. Die Brikettierung, als Errungenschaft der Braunkohlenveredelung, wird eindrucksvoll in der zum Museum umgebauten Fabrik gezeigt. Der auf dem Gelände angelegte „Braunkohlenwald“ macht die Entstehung der Braunkohle nachvollziehbar. Die Ofensammlung stellt nachgelagerte Prozesse, vom Kohlehandel über die Verbrennung zu Hause bis hin zur Nutzung als Schmuckbrikett dar. Der vereinsgetragene Standort erarbeitet momentan Neuerungen, wie z. B. ein nachhaltiges Nutzungs- und Entwicklungskonzept, zahlreiche Sicherungsmaßnahmen und Wissensvermittlung über einen Audioguide.[3]

Die Kinderwagen des Herstellers Zeitzer Kinderwagen (ZEKIWA) sind weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannt. Mit einst über zweitausend Beschäftigten war ZEKIWA ein Hauptarbeitgeber der Region. Über das Projekt „Neues Europäisches Bauhaus“ werden derzeit knapp 40.000 Quadratmeter Brachfläche am Standort des ehemaligen Hauptgebäudes an der Weißen Elster in Hinblick auf eine nachhaltige Weiternutzung begutachtet. Vorerst muss jedoch eine umfassende Sicherung vorgenommen werden.

Die gesamte geschichtliche Entwicklung des Zeitz-Weißenfelser Reviers wird im vereinsgeführten Bergbaumuseum Deuben beleuchtet. Zahlreiche Risse, Modelle und Fotografien zu Aktivitäten und Eigenheiten des hiesigen Braunkohlenabbaus einschließlich der modernen Großtagebaue gehören zur umfangreichen Sammlung. Digitalisierung und Inventarisierung der Sammlung sind die nächsten Ziele des Vereins.[4]

Nimmt man die Folgen des Bergbaus in den Blick, so kommt man nicht umhin, Umsiedlungen und überbaggerte Dörfer zu erwähnen. Jüngst eröffnete eine Ausstellung zur Geschichte der Stadt Hohenmölsen, die sich unter anderem der Bergbauhistorie und der Umsiedlung widmet.[5] Der Erholungspark Mondsee nutzt den ehemaligen Braunkohlentagebau Pirkau für Tourismus und Naherholung um. Hier entstand nach Aufforstung und Flutung die heute überregional genutzte Freizeitlandschaft.[6]

Als kulturelles Kleinod zwischen aktiver Industrie im Chemie- und Industriepark Zeitz zeigt die Ausstellung „Damals war’s“ Leben und Arbeiten rund um das ehemalige Hydrierwerk Zeitz. Liebevoll betreut durch den Heimatclub Tröglitz werden unter anderem Modelle der Erdöldestillation, Lagepläne, Brigadebücher und Sammlungen zu chemischen Verfahren gezeigt.

Einer der wichtigsten Standorte der Schuhindustrie der DDR war Weißenfels. Das Schuhmuseum, angesiedelt im Schloss Neu Augustusburg, zeigt eine eindrucksvolle Sammlung zur Geschichte der Schuhindustrie.[7]

In der Industriekultur unterscheidet sich die Naumburger Straßenbahn als Wirtschaftsunternehmen von anderen Initiativen. Die historischen Bahnen des Industriezeitalters ergänzen nicht nur touristisch das mittelalterliche Ensemble im Burgenlandkreis.[8]

Eine bewegte Firmengeschichte ist auch in Bad Kösen mit der Erlebniswelt Kösener Spielzeug Manufaktur erlebbar. Nach der politischen Wende zwang die prekäre Marktlage die Kösener Plüschtier-Welt fast in die Knie. Das Unternehmen Steiff war zwar an einer Übernahme interessiert, entschied sich aber gegen einen Kauf. Auf Grundlage einer Privatinitiative konnte das Spielzeug-Erbe dennoch weitergeführt werden.[9]

Es gilt, die Bergbaufolgelandschaft sowie die anderen vom Strukturwandel betroffenen Bereiche kulturell nachhaltig zu gestalten, Synergien zu schaffen und Ressourcen zu bündeln. Das ist eine komplexe Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Traditionen und Werte sollen bewahrt und mit ihnen Raum geschaffen werden für neue Interpretationen und Identitätsbildungen in unserer Transformationslandschaft.

 

Anmerkungen

 [1] Vgl. www.erih.de.

[2] Industriekultur in Mitteldeutschland – Potenzialstudie und Strategieempfehlungen (2022) Metropolregion Mitteldeutschland – Im Internet hier: https://www.innovationsregion-mitteldeutschland.com/wp-content/uploads/2022/04/220331_Studie-Industriekultur_Kurzfassung.pdf.

[3] Vgl. www.recarbo.de.

[4] Ebenda.

[5] Die Ausstellung befindet sich im Haus der Stadtgeschichte, Altmarkt 2, Hohenmölsen.

[6] www.erholungspark-mondsee.de.

[7] Vgl. www.weissenfels-erlebnis.de.

[8] Vgl. www.naumburger-strassenbahn.de.

[9] Vgl. www.koesener.de.