Siebengemeindewald im Südharz: Seit Jahrhunderten verwalten die Menschen hier ihren Wald genossenschaftlich
In den ostdeutschen Bundesländern gibt es Waldgenossenschaften nur in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Im Südharz blicken die Waldgenossen bereits auf eine jahrhundertelange Tradition zurück, die allerdings nicht frei von Konflikten war.
Heinz Noack | Ausgabe 1-2023 | Kulturlandschaft | Natur und Umwelt
Der Siebengemeindewald gehört zu den ältesten Waldgenossenschaften in Deutschland und genießt in Sachsen-Anhalt ein Alleinstellungsmerkmal. Dabei handelt es sich um ein rund 1.000 Hektar großes, geschlossenes Mischwaldgebiet in der Gemeinde Südharz, Ortsteil Uftrungen. Die Eigentümer des Waldes sind Einwohner, die Waldgenossen, in den Orten Berga, Uftrungen, Thürungen, Bösenrode, Rosperwenda und Schwenda in Sachsen-Anhalt und Görsbach im Freistaat Thüringen.
Gemeinnützig verwalteter Wald
Das gesamte Gebiet liegt im Landschaftsschutzgebiet „Harz und südliches Harzvorland“ und ist Bestandteil des Biosphärenreservates Karstlandschaft Südharz. Der Wald ist großräumig durch überregionale und regionale Wanderwege sowie Wandereinrichtungen für Touristen und Ausflügler erschlossen.
Die Waldgenossenschaft verfolgt als Realgenossenschaft ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Sie wirkt für den Schutz und die Erhaltung des Waldes. Dazu gehören u. a. Pflege und Erneuerung des Waldes, Hege des Wildes und Erhaltung der Lebensräume, die Förderung des Naturschutzes sowie Öffentlichkeitsarbeit und Traditionspflege, die einen hohen Stellenwert einnimmt. Eine Gedenkstätte erinnert an den im Jahre 1888 ermordeten Waldförster Berthold Mauss. Für die Waldvögte werden nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt vor dem Waldhaus Erinnerungsbäume gepflanzt und nach den Förstern Waldwege benannt. Eine Chronik der Waldgenossenschaft, „das holz all der dorfer gemeyne“ von Steffi Rohland und Heinz Noack, erschien 2004. Zum 675-jährigen Jubiläum der Ersterwähnung erschien 2016 eine erweiterte Ausgabe mit dem Titel „675 Jahre Siebengemeindewald“.
Die Haupteinnahmen werden über den Holzverkauf generiert. Die Waldgenossenschaft vermarktet das Holz in Eigenregie, Holzerlöse sind für die Deckung der Kosten vorgesehen – Gewinne werden nicht ausgeschüttet, sondern für Investitionen und den künftigen Waldumbau verwendet.
Zwei Waldvögte, ein Waldförster und 951 Hausbesitzer
Seit Jahrhunderten ist der Siebengemeindewald ideelles Eigentum von 951 Hausbesitzern in Berga, Uftrungen, Schwenda, Rosperwenda, Bösenrode, Thürungen und Görsbach. An der Spitze der Verwaltung stehen zwei Waldvögte und ein Waldförster. Der 1. Waldvogt kommt traditionell aus Berga und der 2. aus Uftrungen. In jedem der sieben Orte gibt es einen Ortsvorstand, bestehend aus dem jeweiligen Ortsbürgermeister und mehreren Mitgliedern, abhängig von der Einwohnerzahl. Einmal jährlich findet im Frühsommer in Berga eine Vollversammlung der Vorstandsmitglieder mit Rechenschaftslegung des 1. Waldvogtes und Berichten zum Waldzustand sowie zum Jagdwesen statt. Eine Woche später schließt sich eine Waldbegehung unter Leitung des Försters mit geladenen Gästen an.
Die nachweisbare Ersterwähnung des Siebengemeindewaldes erfolgte in einer am 10. /11. Januar 1341 ausgestellten Urkunde. Die Grafen von Hohnstein übereigneten die Herrschaft Roßla an die Grafen zu Stolberg. In der darin enthaltenen Grenzbeschreibung wird der Wald als „das holz all der dorfer gemeyne“ bezeichnet. Erst 250 Jahre später erfolgte in einer Waldordnung die Nennung der Einwohner in den sieben Orten als Eigentümer.
In der Literatur überlieferte Legenden berichten von Schenkungen des Waldgebietes an die Einwohner durch die Heilige Elisabeth von Thüringen beziehungsweise einer Herzogin Sibylla. Es ist zudem von einer hochschwangeren Frau die Rede, die das Waldgebiet in einem Tag zu Fuß umrundet hat. Der tatsächliche Ursprung liegt vermutlich in einer mittelalterlichen Markgenossenschaft, deren Mitglieder das gemeinschaftliche Vermögen zur persönlichen Holzentnahme und Viehzucht nutzten. Zu einer Markgenossenschaft gehörten mehrere Siedlungen mit gemeinsamem Grundbesitz – in diesem Fall ein Waldgebiet. Für die inneren Angelegenheiten einer Markgenossenschaft bestand ein besonderes Markgericht, in diesem Fall ein Waldgericht, das gleichzeitig ein Verwaltungsorgan war. Dieses Gericht, in der Regel unter dem Vorsitz der Waldvögte, legte Strafen fest und beriet in seltenen Fällen auch über den Inhalt einzelner Punkte der Waldordnungen. Das Waldgericht tagte am St. Gallustag in Berga – erstmalig überliefert am 18. Februar 1651.
Dass es schriftlicher Eigentumsnachweis fehlte, führte immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Waldgenossen und den Grafen zu Stolberg, die den Wald für sich beanspruchten. Nach einem fast einhundertjährigem Streit sprachen die Richter des Oberlandesgerichtes in Naumburg am 11. August 1826 schließlich den Waldgenossen das Eigentumsrecht am Siebengemeindewald zu. Am 20. Januar 1870 bestätigte ihnen die Königliche Regierung in Merseburg die Eigentumsform einer Realgenossenschaft, die heute noch Bestand hat. Zum Nachweis der Mitglieder wurden in den sieben Ortschaften Listen aller bewohnten Grundstücke angelegt. Diese Aufstellungen sind ebenfalls noch gültig – eine Ausweitung der Nutzung gibt und gab es nicht.
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Die Nutzung des Waldes werden durch Waldordnungen geregelt, die von den Waldvögten, den Adligen in Berga und Uftrungen sowie den Gemeindevorstehern erlassen wurden. Erhalten sind Waldordnungen aus den Jahren 1580, 1590, 1600, 1601 und 1703.
Schon in der ältesten Waldordnung von 1580 ist beispielsweise festgelegt, dass geschlagenes Brennholz noch am selben Tag nach Hause gefahren werden musste – für die Görsbacher und Thürunger ein sehr langer Weg. Der Einschlag war nur zwischen dem Gallustag (16. Oktober) und der Fastnacht (im Februar) gestattet. Das geschlagene Holz war etwa armstark und musste zu Rollen (Wellen) gebündelt werden. Der Durchmesser war vorgeschrieben. Jedem Ackermann in den sieben Ortschaften standen 30 Schock (1.800 Stück) solcher Bündel zu. Ein Hintersasse bekam nur die Hälfte. Einen zusätzlichen Anteil erhielten Schulen und Pfarrhäuser. Es war den Waldgenossen bei Strafe verboten, ihr Holz an Dritte zu verkaufen.
Die größten Schäden im Wald verursachte nicht der Holzeinschlag, sondern die Hutung. Gestattet waren nur Nutzungen mit Rindern und Schafen, das Eintreiben von Ziegen war generell verboten, denn sie fraßen alles kahl. Auch wurde junges Laub von Buchen und Birken abgestreift und neben Gras an das Vieh in den Ställen verfüttert. Die Aufsicht darüber lag beim Förster. Er überwachte neben dem Brennholzeinschlag auch die Weideplätze der Hirten und das Futtersammeln. Verstöße gegen die Waldordnung wurden mit Geldbußen geahndet.
Die Waldordnungen von 1580 und 1590 sind die ältesten ihrer Art in Mitteldeutschland und stellen den Beginn des heute oft zitierten nachhaltigen Wirtschaftens dar. So lautet es in sprachlich modernisierter Form im § 2 der Ordnung von 1590: „2. Damit künftig der gemeine Wald zu guter Besserung kommt und Ordnung darin gehalten wird, sind sich die von der Ritterschaft und die sieben Gemeinden einig und wollen, dass die Waldvögte und zwei Mann aus jeder Gemeinde, darunter wenigstens zwei aus der Ritter schaft, jährlich einen Ort im Wald abzeichnen und freigeben. Dort darf jeder Waldgenosse sein Holz schlagen. Wer außerhalb haut, soll bestraft werden. Der Förster soll darauf achtgeben.“
1734 wurde für Jost Christian Graf zu Stolberg-Roßla „ein Jagd- und Lusthaus im Gemeinden Wald“ errichtet. Die damalige „kleine Hubertus-Burg“, das heutige Waldhaus, ist ein stattlicher Fachwerkbau und diente den Grafen als Jagdhaus. Nach Verlust des herrschaftlichen Jagdrechtes 1848 kauften es die Waldgenossen und stellten es dem Waldförster als Wohn- und Dienstsitz zur Verfügung. Seit 1992 wird es wieder als solches genutzt.
Die Liste der nachweisbaren Waldförster reicht bis in das Jahr 1602 zurück. Damals musste jeder Förster vor seinem Dienstantritt einen „Förster-Eid“ ablegen. Der aktuelle Waldförster Martin Enke ist die Nummer 25 in der Liste. Zu einer traurigen Berühmtheit kam der Revierförster Berthold Mauss. Er wurde am 18. November 1888 das Opfer von Wilderern und hinterließ eine Witwe mit vier kleinen Kindern. An der Mordstelle ließ später der Jagdpächter Kneiff aus Nordhausen an einer jungen Eiche eine Gedenktafel anbringen. 1911 wurde zusätzlich ein mittelalterlicher Kreuzstein aufgerichtet. Zum Todestag legen die Waldgenossen jährlich an der Gedenkstätte einen Blumengruß nieder.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Siebengemeindewald ausschließlich im Niederwaldbetrieb geführt. Der Wald war in 15 Hauungen (Bezirke) eingeteilt. Darin wurde in einem mehrjährigen Rhythmus das junge Holz der Stockausschläge abgehauen und als Brennholz verwendet. Der stetig wachsende Holzbedarf erforderte ein Umdenken in der Bewirtschaftung. Mit dem Kauf von zehn Pfund Fichtensamen am 4. März 1854 durch den Waldförster Johann Wilhelm Ulrich in Quedlinburg hielt die Fichte ihren Einzug. Sie wurde schnell heimisch, wuchs gut und entwickelte sich so zum Brotbaum der Wälder im Südharz. Das war gleichzeitig der Beginn der „Holzäcker“. Der bisherige Brennholzerwerb aus Stockausschlägen wurde bis um 1920 fast völlig zurückgefahren. Die Förster begannen den Niederwald zum Hochwald umzuformen. Von 1973 bis 1990 war der Siebengemeindewald als Zwischengenossenschaftliche Einrichtung Wald in den Händen des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes. Am 1. Januar 1991 erhielten die Waldgenossen ihr Eigentum zurück.
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Heute gibt es keine Niederwaldwirtschaft mehr. Im Laufe der Jahrzehnte erreichte der Fichtenreinbau einen Anteil von ca. 30 Prozent. Die Klimaveränderungen in der jüngsten Zeit verursachten durch extreme Trockenheit und Borkenkäferbefall ein großflächiges Absterben der Fichte bis auf wenige kleine Bestände. Gegenwärtig zeigt auch der Mutterbaum des Südharzes, die Rotbuche, verstärkt Symptome des Absterbens. Das erfordert ein völliges Überdenken der bisherigen Waldwirtschaft. Der Waldförster Enke ist sehr bemüht, die geräumten Flächen zügig wieder aufzuforsten und greift dabei auf verschiedene Nadel- und Laubholzarten zurück. Er ist bestrebt, eine naturnahe Bewirtschaftung mit Mischwaldbeständen einzuleiten und den Plenterwaldbetrieb einzuführen. Ein Plenterwald ist ein Hochwald mit Beständen in allen Altersklassen. Eine solche Waldform ist sehr stabil und beständig gegenüber Witterungseinflüssen. Geschlagen wird nur das „reife“ Holz, d.h. Bäume in der Hiebsreife. Der Wald schließt die entstandenen Lücken danach selbst durch Naturverjüngung.
Die Waldgenossen unterstützen den Förster mit freiwilligen Pflanzaktionen. Auf den Kahlschlägen der ehemaligen Fichtenstandorte werden z.B. Kiefern, Fichten, Lärchen, Buchen, Eichen, Linden und Vogelkirschen gepflanzt. So wird aus heutiger Sicht der Siebengemeindewald langfristig in seinem Bestand gesichert.