Wildtier des Jahres 2018
Die kleinen Schwestern der Luchse – Wildkatzen im Harz
von Frank Raimer | Ausgabe 1-2018 | Natur und Umwelt
Wer kennt sie nicht, die Wildkatzen im Wildpark Christianental am Stadtrand von Wernigerode. Doch gibt es sie auch in Freiheit im Harz? Ja – aber sie leben zurückgezogen, versteckt, verbringen den Tag häufig schlafend und werden erst in der Dämmerung aktiv. Viele glauben, die Wildkatze wäre eine verwilderte Hauskatze. Aber die Wildkatze, wissenschaftlich Felis silvestris silvestris, die „Waldkatze“, genannt, war schon lange bevor die Römer die Hauskatze über die Alpen brachten in den Waldgebieten Mitteleuropas heimisch. Die Hauskatze hingegen stammt von der Falbkatze Nordafrikas ab und wurde bereits von den Ägyptern als Haustier gehalten.
In Deutschland sind es insgesamt ca. 5.000 Wildkatzen, die in unzugänglichen Regionen der Mittelgebirge wie etwa Harz, Hainich, Pfälzer Wald oder Eifel überleben konnten. Im Harz wird ihre Zahl auf einige Hundert Tiere geschätzt, wobei die Zahlen von Forscher zu Forscher schwanken. In der Wildbiologie sind Populationsdichteberechnungen sehr schwer – das wurde auch bei der öffentlichen Diskussion zum Luchs deutlich. Im Nationalpark Harz kommt sie schwerpunktmäßig in den tieferen Lagen vor.
Abgeschiedenheit und große Reviere
Wildkatzen sind vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiv. Tagsüber ziehen sie sich zur Ruhe zurück. Der geschützte Wald bietet neben der Ruhe auch Geborgenheit in Form von Deckung und guten Versteckmöglichkeiten, denn Wildkatzen lieben es, unsichtbar zu sein und dabei selbst alles sofort im Blick zu haben. Kronenabraum, Reisighaufen, dornige Gebüsche, verlassene Fuchs- und Dachsbaue oder auch Wurzelteller sowie dichte, aber weit ausladende Baumkronen von rauborkigen Bäumen werden gern als Tageslager genutzt. Im Winterhalbjahr suchen Wildkatzen auch Tierbaue von Dachsen, Füchsen oder gar Kaninchen auf.
Die Katze im Harz
Der Harz mit einer Fläche von ca. 250.000 ha, wovon ca. 220.000 ha zusammenhängend bewaldet sind, ist ein weitläufiger und abwechslungsreicher Naturraum. Trotz dieser großen Fläche halten sich Wildkatzen besonders gern in den tieferen Randlagen des Gebirges auf. Hier finden sie die besten Lebensbedingungen in ausgedehnten Laubwäldern, so in den Nationalparkrevieren am Nord- und Südharzrand. Auch die kühleren, mittleren Lagen des montanen Bergwaldes, ehemals von Buchen geprägt und derzeit durch forstliche Maßnahmen weitgehend mit Fichte bestockt, werden von der Wildkatze besiedelt. In den Hochlagen findet die Wildkatze keinen ganzjährigen Lebensraum. Zu unwirtlich sind hier die Lebensbedingungen infolge lang anhaltender Schneelagen.
Die Reviere der Wildkatzen sind groß – bei weiblichen Tieren von ca. 300 bis über 600 ha, bei männlichen sogar von ca. 600 bis über 1.500 ha. Adulte Wildkatzenkuder überlappen mit ihrem Territorium in der Regel die Gebiete mehrerer Weibchen. Unsichtbare Grenzen trennen ihre Territorien. Wildkatzen markieren sie an den Eckpunkten und signalisieren damit, dass sie dieses Gebiet auf Dauer beanspruchen. Benachbarte Tiere respektieren diese Grenzen, die durch Duftstoffe an Stuken, Steinen, Felsen, kleinen Bäumchen, liegendem Holz oder auf Maulwurfshaufen gekennzeichnet sind. Weiterhin bekratzen Wildkatzen rauborkige Stämmchen von Büschen und Bäumen, wie z.B. Holunder, Esche, Vogelbeere oder Aspe. Sie entfernen dabei die Rinde am Stamm und untermauern mit dieser sichtbaren „Signalwirkung“ ihren Revieranspruch für vorbeiziehende Katzen. Außerdem kontrollieren sie ihr Gebiet und zeigen damit eine ständige Präsenz an den Grenzen zu ihren Nachbarn.
Forschung für die Katze
In verschiedenen Lebensräumen der Wildkatze wurde Feldforschung betrieben. Mit Hilfe der Telemetrietechnik (Besenderung) sind Aussagen über Raumnutzung, Habitatwahl, Aktivitätsphasen und sonstige Lebensweise der Wildkatze erstmals möglich. Dokumentiert sind weite Wanderungen, z.B. auch durch Flüsse wie den Regen oder die Weser. Ebenso wurde beobachtet, dass sie auch in Bächen nach Beute sucht und dort Fische, Bisamratten oder seltener auch Enten und Reiher jagt.
Über neun Monate lang beobachteten Biologen mit Telemetrietechnik eine weibliche Wildkatze. Das erwachsene Tier bekam Mitte April zwei Junge. Mitten in einem großen Mischwaldgebiet, geprägt von Buche, Bergahorn, Ulmen, Hainbuche und Esche, kamen die Jungen in einer Baumhöhle zur Welt. Die Wildkatze versorgte ihre Jungen mit Gelbhals- und Rötelmäusen sowie Bilchen. Nach mehr als sechs Wochen zog die Katze mit den Jungen in ein weit entferntes neues Lager, das in einem relativ offenen Biotop mit Sträuchern und Sukzessionsflächen lag. In diesem Gebiet mit Lichtungen, Blößen und kleineren Wiesen gab es Mäuse im Überfluss. Ein am Gebüschrand verborgener alter Betonhügel, der im Bodenbereich zahlreiche große Erdlöcher aufwies, war nun ihr Quartier. Diese Höhlungen boten Schutz vor Regen und Wind. Bei schönem Wetter ist so ein künstlicher Hügel ein herrlicher Platz, um sich zu sonnen. Auch eine kleine Wasserstelle gab es in der Nähe, die den ganzen Sommer über gefüllt war. Dieses war ein idealer Ort, um den Nahrungsbedarf der Jungkatzen zu decken und ihnen alles beizubringen, was man zum Überleben und für die Jagd benötigt. Anfang August kehrte die Familie wieder in das geschlossene Mischwaldgebiet zurück. Ihr Revier war über 300 ha groß. Im Herbst wurden die Jungen zunehmend selbständig und erkundeten weitere Gebiete.
Schutz und Lebensraumvernetzung
Für die Jungkatzen ist es wichtig, neue, bisher nicht von Wildkatzen bewohnte Waldgebiete zu erkunden. Deshalb ist es lebensnotwendig, dass jüngere Tiere in benachbarte Lebensräume abwandern können. Diese Abwanderung oder Migration ist leichter gesagt als getan, denn benachbarte Lebensräume des Harzes sind infolge der Infrastruktur und der Siedlungen für Wildtiere nicht einfach zu besiedeln. Wildkatzen, auch dies wurde durch Telemetriestudien bewiesen, meiden deckungsarme offene Landschaften und überqueren deshalb weder weitläufige Wiesen noch Ackerflächen. Notwendig ist daher eine Lebensraumvernetzung durch die Anlage von leitenden, deckungsreichen Strukturen im ländlichen Raum, damit benachbarte Waldgebiete wieder von der Wildkatze besiedelt werden können. Um Trennlinien wie Autobahnen zu überwinden, sind entsprechende Grünkorridore in Verbindung mit Wildunter- und -überführungen zu errichten.
Infolge der Seltenheit der Wildkatze in Deutschland und Europa wird die Art durch verschiedene Abkommen und Gesetze vor Verfolgung geschützt. Die Wildkatze gehört zu den nach dem Bundesjagdgesetz ganzjährig von der Jagd zu verschonenden Wildarten (ganzjährige Schonzeit). In Gebieten mit Wildkatzenvorkommen ist auf Totschlagfallen grundsätzlich zu verzichten. Auch durch die europäische FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) wird die Wildkatze geschützt. Danach sind z.B. bei Projekten der Verkehrsplanung diverse Arten, u.a. die Wildkatze, zu berücksichtigen und in die Planungsmaßnahmen einzubeziehen. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt nimmt die aktuelle Verbreitung der Wildkatze nur wenige Prozent der Landesfläche ein – damit ist sie uneingeschränkt als hochgradig gefährdete Art einzustufen.
Steckbrief
Name: Wildkatze (Felis silvestris silvestris).
Durchschnittliches Gewicht 3,5 kg für weibliche und 5 kg für männliche Tiere. Wildkatzen werfen 2 bis 4 Junge, selten 5 oder 6. Geboren werden sie in der Regel von März bis Mai, in Ausnahmen auch im Herbst. Die Jungensterblichkeit ist hoch. Alter in freier Wildbahn etwa 3 Jahre, nur in seltenen Ausnahmen 5 oder mehr Jahre. Das älteste im Harz nachgewiesene Tier kam auf 11 Jahre – ein Ausnahmefall. Wesentliche Beutetiere: Kurz- und Langschwanzmäuse, aber auch Wildkaninchen, Eidechsen, Frösche, Vögel und Insekten. Zur Verdauung benötigen sie außerdem Gräser und Kräuter. Nur in Notzeiten, z. B. im Winter, nutzen Wildkatzen auch Aas.
Weiterführende Literatur
Grabe, H. & Worel, G. (2001): Die Wildkatze. Zurück auf leisen Pfoten. – Buch- und Kunstverlag Oberpfalz, Amberg
Piechocki, R. (1990): Die Wildkatze. – Neue Brehm-Bücherei, Ziemsen, Wittenberg
Sarbock, S. (2003): Entwicklung eines Biotopverbundkonzeptes für Luchs, Rothirsch und Wildkatze im Landkreis Osterode im Rahmen der Verlegung der B 243. – Diplomarbeit, Institut für Landschaftspflege und Naturschutz der Universität Hannover
Simon, O. & Raimer, F. (2005): Wanderkorridore von Wildkatze und Rothirsch und ihre Relevanz für künftige infrastrukturelle Planungen in der Harzregion. – Göttinger Naturkundliche Schriften 6: 159 – 178, Biologische Schutzgemeinschaft Göttingen
Weitere Informationen gibt es in www.wildkatze.info und www.wildkatze-in-sachsen-anhalt.de